Stadt- und Straßenbäume:
Die Klima-Arten-Matrix für Stadtbaumarten ist als Ergebnis einer Forschungsstudie der TU Dresden unter der Leitung von Prof. Dr. Andreas Roloff (Forstbotaniker) entwickelt worden. In Tabellenform wurde KLAM-Stadt u.a. herausgegeben vom Bund Deutscher Baumschulen (BdB, 2009, 2022).
Der jeweilige KLAM-Wert einer Baumart ergibt sich aus der Zusammenschau aus ‚belastbaren Publikationen‘ und wird bestimmt als Wertangaben aus Winterhärte x Trockenresistenz (erster Wert x zweiter Wert).
Die Einstufungen reichen von sehr gut geeignet bis ungeeignet. Die Angabe von Wertstufen als absolute Zahlen hilft bei der Vergleichbarkeit unterschiedlicher Baumarten. Neben sog. Zukunftsbaumarten werden auch heimische Arten eingestuft. Im Unterschied zur GALK-Straßenbaumliste bleiben weitere für die Baumartenwahl für einen Stadtstandort ebenfalls mitentscheidende Kriterien im KLAM-Wert unberücksichtigt. Nicht für alle Baumarten und schon gar nicht für alle Sorten wurden im Rahmen der Studie ein KLAM-Wert ermittelt.
In mäßig übersichtlicher Tabellenform - weil zusätzlich in Wuchsgrößengruppen aufgeteilt - lassen sich den einzelnen Bewertungsstufen zugeordnete Baumarten und -sorten über diesen Link der Stiftung ‚Grüne Stadt‘ aufrufen, deren Partner u.a. der BdB und der BGL sind und dessen Vorstand und Kuratorium sich u.a. aus Verbandsvertretern der Grünen Branche zusammensetzen.
Kandidatensuche für das Team Zukunft
Gesucht: Baumarten, die voraussichtlich besser mit den sich vor allem für Stadtbäume verändernden klimatischen Bedingungen zurechtkommen werden. Trockenstress- toleranz wird dabei Schlüsseleigenschaft künftig geeigneter Bäume sein - oder gibt es bereits eingeführte Arten, die geeignet sind? Wir haben Listen und Forschungsprojekte zusammengetragen und bewertet.
Henning Stoldt, Landschaftsarchitekt
„Klimabaum“
„Zukunftsbaum“
„klimaresistent“
„fit für den Klimawandel"
„Welcher Baum ist am besten fürs Klima?“
Antwort von mdr Garten: Diese drei Bäume trotzen dem Klima im Garten:
„Klimagehölze sind Bäume, die gut mit extremer Trockenheit und Hitze klarkommen.“ […] Zürgelbaum, Lampionbaum und Trompetenbaum.“
Ach, wär‘ s doch so schön einfach mit der Zukunftsgarten- und Parkwelt aus Zürgel-, Lampion- und Trompetenbäumen, wie Stichwortsuchen und leider auch so manche (Fach-)beiträge es suggerieren und handlich-griffig-1-klickmäßig verkürzen möchten.
Suche und Produktion der sogenannten Zukunftsbäume sind seit Jahren ein Haupttrend in den Hochbaumschulen. Wer Bäume aus dieser stetig wachsenden Gruppe liefern kann, hat einen Wettbewerbsvorteil in einem Sortiment, bei dem sich zumindest die großen Baumschul-Mitspieler im Standardkatalog kaum unterscheiden. Abgesehen von Qualitätsunterschieden in der Erziehung von Bäumen wird der Wettbewerb in erster Linie über den Preis ausgetragen.
Für die Suche und Verwendung von Zukunftsbäumen sind die Baumschulen als Baumproduzenten stets im Schlepptau der Pflanzenverwender und Entscheider. Und so wandelt sich das Baumsortiment der Baumschulen unmittelbar durch die Nachfrage aus der Baumverwendung. Denn - und das ist kein Geheimnis – haben die Baumverwender in Kommunen und Landschaftsarchitekturbüros das Thema Zukunftsbaum und Klimaveränderung mittlerweile erkannt ...
... die Kommunen nach ihrem jahrzehntelang vorgetragenen Mantra
Sodann sollst Du fordern den heimischen Baum
Nicht mehr und nicht weniger als heimisch
Heimisch allein soll die Baumart sein, die zu forderst
Und die Baumart, die du forderst, soll heimisch und nur heimisch sein
Weder sollst Du gestatten fremdländisch
Noch sollst Du gestatten Sorte
Es sei denn, dass die Fremdländischen und Sorten heimisch sind
…und die Planungsbüros mit der oft einseitigen Fokussierung auf das Dekorative – nämlich der äußeren Gestalt und Baumästhetik im Schlepptau der sonstigen Freiraumausstattung aus Sitzbänken, Außenleuchten und Absperrpollern.
Superkilen-Park im Kopenhagener Stadtteil Nørrebro: Aus in erster Linie ästhetisch-dekorativen Gründen geleitete Baumverwendung zur Vervollständigung der Außenmöblierung
Eine Kommune aus Mittelholstein fragt Phellodendron amurense (Amur-Korkbaum) an, ein Bezirk in Hamburg schreibt jeweils ein Exemplar aus der 'Zukunftsbaumliste' aus – von A wie Aesculus indica(!) bis Z wie Zelkova.
Als Mitspieler im Team Baumschulen möchten dem Team Pflanzenverwendung in dem idealerweise kooperativem Spiel unsere Sicht auf die Baumverwendung in der Stadt erläutern um mehr Verständnis und Kenntnis für Zusammenhänge und zum Wohle der bereits gepflanzten und künftigen Bäume in der Stadt zu wecken.
Klimamodelle prognostizieren, dass in Norddeutschland bereits in 20 Jahren ein Klima ähnlich wie in Südfrankreich herrschen könnte (Diplom-Meteorologe Sven Plöger als Gastredner auf der Florum 2023). Klimadiagramme aus der Vergangenheit zeigen die grundlegende Veränderung:
Klimadiagramm für Aix-en-Provence
Datengrundlage: 1991 bis 2021, eigene Darstellung
Datenquelle: de.climate-data.org
Klimadiagramm für Hamburg
Datengrundlage: 1991 bis 2021, eigene Darstellung
Datenquelle: de.climate-data.org
Auch in Aix-en-Provence haben die Klimaveränderungen Auswirkungen auf die Vegetation: Dort bedeutet 'Klimawandel' vor allem Trockenheit und Wasserknappheit, was für die Vegetation die Ausbreitung von Hartlaubgewächsen begünstigen wird bei gleichzeitiger Verdrängung der Laubwälder in höhere Lagen.
Gesucht werden in unseren Breiten somit Baumarten, die sich voraussichtlich besser an die beobachteten Klimaänderungen anpassen können als die bislang verwendeten Hauptbaumarten.
Kennzeichen der Veränderung des Klimas sind:
Was ist in der Baumverwendung somit naheliegender als Pflanzenäquivalente zu suchen in Form eines Screenings möglicher Kandidaten aus Gegenden, in denen bereits heute ein Klima herrscht, wie es beispielsweise für Norddeutschland prognostiziert wird.
Die Baumartensuche erfolgte bislang in zwei Schritten:
Im ersten Schritt werden Baumarten nach natürlichem Vorkommen analysiert, um über die Erstellung von Steckbriefen möglich Eignungen einzugrenzen:
1. Gibt es heimische, jedoch (noch) seltene Baumarten, die für die Zukunft eine bessere klimatische Eignung versprechen und womöglich konkurrenzstärker sind als heute vorherrschende Baumarten?
2. Gibt es analoge Baumarten, die derzeit hierzulande nicht heimisch sind und vornehmlich in Regionen wachsen, in denen bereits heute klimatische Bedingungen herrschen wie hierzulande prognostiziert? Diese Gruppe lässt sich weiter unterteilen in europäische (= könnten prinzipiell auf natürlichem Wege einwandern) und außereuropäische Arten (= als eindeutig eingeführte Arten).
In einem zweiten Schritt werden mit den in Schritt 1 eingegrenzten Arten Anbau- und möglichst langfristige(!) Feldversuche durchgeführt. In diesen beiden Schritten zu Forschung und Versuch lassen sich zwei Arbeitsfelder unterscheiden:
- Bereich Stadt- und Straßenbäume
- Bereich Forst/ Waldumbau
Zu beiden Fragestellung/ zu beiden Schritten wird in unterschiedlichen Bereichen bereits geforscht. Nachfolgender Überblick über (gehaltvolle) Projekte gibt einen guten Überblick über den Stand der Forschung zum Thema Zukunftsbäume und kann über die eingefügten Links für Pflanzenverwendende als Kennenlernquelle für zahlreiche Baumarten dienen – und als Ergänzung zu den üblicherweise Pflanzenverwendungen zu Grunde liegender Beschreibungen aus Baumschulkatalogen.
Besonders die Artensteckbriefe 2.0 als Ergebnis einer umfassenden Literaturrecherche sind wertvolle Quelle, werden dort auch nichtdeutschsprachige Quellen erschlossen, mit denen Copy&Paste-Phänomene innerhalb des deutschsprachigen Raums relativiert werden.
Stadt- und Straßenbäume:
Sehr bekannt und verbreitet und von den Ämtern auch intensiv verwendet ist die sog. GALK-Straßenbaumliste: Seit 1994 werden Straßenbaumtests für fundierte Aussagen über die Eignung bestimmter Baumarten und -sorten für die Verwendung als Straßenbäume durchgeführt. Der Arbeitskreis sammelt Ergebnisse verschiedener Untersuchungen zu Wachstumsbedingungen und Optimierung von Standorten. Als Wertungen werden Einstufungen zwischen nicht geeignet, geeignet mit Einschränkungen, geeignet und gut geeignet für einzelne Baumarten und teils Sorten vorgenommen.
Die aktuelle GALK-Straßenbaumliste lässt sich über diesen Link aufrufen.
Für Anwender wurde in Zusammenarbeit mit dem BdB in eine e-Paper-Broschüre ‚Zukunftsbäume für die Stadt‘ eine Auswahl aus 65 Bäumen erstellt, die dort bebildert und beschrieben sind.
Die GALK-Straßenbaumliste trägt ihren Anwendungsbereich bereits im Namen: Beurteilt werden Baumarten und Sorten nach ihrer Eignung als Straßenbäume. Eine Nichteignung muss daher nicht das Ende für eine Baumverwendung im städtischen Umfeld bedeuten: Zahlreiche als 'nicht geeignet' gekennzeichnete Arten und Sorten wurden abgewertet, weil sie nicht die GALK-Kriterien beispielsweise der Herstellbarkeit des Lichtraumprofils oder bezüglich des Kronenhabitus für eine Straßenbaumeignung aufweisen.
In der GALK-Straßenbaumliste werden folgende Baumarten bzw. Sorten als geeignet bzw. gut geeignet ausgewiesen (Stand Oktober 2023), wobei zahlreiche weitere Arte und Sorten als 'noch im Test' markiert sind. Arten/ Sorten des Baumschul-Randsortiments (geringe Verfügbarkeit am Markt) sind in Klammern gesetzt :
Als Straßenbaum gemäß GALK-Straßenbaumliste geeignet: Acer campestre 'Elsrijk' (Stahltwiete, Hamburg)
Matrix der KLAM-Stadt (TU Dresden), eigene Darstellung
Aus der Matrix ergeben sich 16 Bewertungstufen für die Eignung als Stadtbaum (‚Notenpaare‘) mit (ausschließlichem) Blick auf die beiden Bewertungskriterien. In nachfolgenden Aufzählungen fett gedruckte Baumarten sind in der Tabelle ‚Trockenstressresistente Arten aus dem Standardsortiment‘ (s.u.) näher beschrieben. Baumarten des Baumschul-Randsortiments mit eingeschränkter Verfügbarkeit sind in Klammern gesetzt:
Gruppe 1.1/1.2/grün = sehr gut geeignet bzgl. Trockenstresstoleranz und Frosthärte
Zur Gruppe der am höchsten eingestuften Baumarten zählen z.B. (Auswahl), [KLAM-Wert]:
Gruppe 2.1/2.2/1.3/hellgrün = gut geeignet
Trockenstresstoleranz geeignet, Winterhärte sehr geeignet bzw. geeignet
Zu den Baumarten dieser Gruppe zählen z.B.
Gruppe 2.3/3.1/3.2/3.3/gelb = geeignet , aber z.T. problematisch
Zu diesen Baumarten, die nur eingeschränkt trockenstresstolerant und/ oder winterhart sind, zählen z.B.
Gruppe 1.4/2.4/3.4/4.1/4.2/4.3/rot = nur sehr eingeschränkt trockenstressresistent und/ oder winterhart; derzeitige Eignung nur in einer Teileigenschaft (Auswahl):
Zweimal Koelreuteria paniculata : Links in Malmö vor der Caroli-Kirche, Süd-Schweden (WHZ 8a), rechts in Amiens, Rue des Sergents, Nord-Frankreich (WHZ 9a), KLAM [1.4] weil Frosthärte kritisch (max. WHZ 7a)
Abgebildet werden jedoch eben ‚nur‘ Eigenschaften bezüglich Winterhärte und Trockenresistenz:Bei der Abwägung für oder gegen begründete Entscheidungen in der Baumverwendung sollte stets berücksichtigt werden, dass weitere Kriterien eine Rolle spielen (können).
Eine Zusammenfassung der zugrundeliegenden Forschungsstudie der TU Dresden und Erläuterungen dazu lässt sich über diesen Link abrufen.
Mit dem Online-Tool Citree.de stellt die TU Dresden aus einem Forschungsprojekt (2012-2015) zum Thema ‚Gehölze für urbane Räume‘ eine Planungsdatenbank mit über 360 Gehölzarten zur Verfügung. Die Auswahl erfolgt entweder über (voreingestellte) Suchkriterien oder über eine Namenssuche, über die sich auch für zahlreiche Stadtbaumarten Artensteckbriefe mit zahlreichen Merkmalen aufrufen lassen.
Stadt- und Straßenbäume:
Die LWG Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau hat 2009 an drei unterschiedlichen Standorten innerhalb Bayerns ein Langzeit-Forschungsprojekt mit 660 Bäumen in 30 vielversprechenden Baumarten hinsichtlich der Eignung Stresstoleranz und Klimafestigkeit gestartet:
Rechnerisch wurden ca. 7 Bäume je Art und Standort gepflanzt. Im Versuchsaufbau wurden Pflanzssubstrat (FLL-Baumsubstrat) und die Herrichtung der Pflanzgrube (allerdings kleinerer Wurzelraum als gem. FLL empfohlen) vereinheitlicht. Der Versuch von 2009/10 bis 2021 wurde 2015 um weitere Baumarten erweitert.
Für das Projekt liegen ein Abschlussbericht und ein handlicher Flyer vor. Im Flyer ist gekennzeichnet, welche Baumarten sich an welchem Standort besonders gut entwickelt haben. Dazu ergänzt sind Bemerkungen mit speziellen Beobachtungen.
Folgende Baumarten haben sich mit Blick auf die Eignung als Straßenbaum in der Stadt im Versuch an allen drei Standorten gut entwickelt - wobei dies kein Ausschlusskriterium für weitere getestete Baumarten mit einem oder zwei positiven Standortbewertungen bedeuten muss, wenn diese am geeigneten Standort verwendet werden:
Folgende Baumarten konnten auf keinem der Standorten überzeugen, die Gründe hierfür sind jedoch vielfältig und reichen von unpassendem pH-Wert des Bodens über Unverträglichkeit der Veredlungsunterlage bis zu schwierig herzustellendem Lichtraumprofil:
Leider berücksichtigt der Versuch keine Kontrollgruppe – so wäre interessant zu beobachten, wie sich etablierte Straßenbaumarten wie Tilia ‘Pallida‘, Sorten von Acer platanoides oder Quercus robur im Beobachtungszeitraum geschlagen hätten – denn auch ‚Zukunftsbäume‘ lassen sich heute nur unter den Bedingungen von heute „testen“. Wenn typische Stadtbaumarten des Standardsortiments unter den derzeitigen stadtklimatischen Bedingungen ‚noch‘ funktionieren, lassen sich die Forschungsergebnisse für die getesteten neueingeführten bzw. neueinzuführende Baumarten dahingehend lesen, ob diese Baumarten ‚schon‘ unter den derzeitigen klimatischen Bedingungen an den jeweiligen Standorten funktionieren.
Eine interessante(re) Versuchsanordnung zur künftigen Versagenswahrscheinlichkeit könnte ein Feldversuch hierzulande eingeführter, typischer Stadt- und Straßenbaumarten in den Gegenden sein, wo bereits heute die klimatischen Standortbedingungen herrschen, die gemäß Klimaprojektionen für hiesige Baumstandorte in der Stadt vorhergesagt werden.
Der Abschlussbericht lässt sich über diesen Link auf den Seiten der LWG Bayern aufrufen.
Der Flyer kann über diesen Link aufgerufen werden.
An allen drei Standorten des Forschungsversuchs überzeugte die LWG Alnus spaethii (links im Bild). Im Flyer heißt es: "Obwohl dieser Art schon lange bekannt ist, wurde ihr Potenzial bisher noch nicht richtig erkannt. Sie besticht durch gleichmäßigen Kronenaufbau und große Anpassungsfähigkeit. Als autarker Stickstofffixierer wächst sie auch auf ärmsten Böden und ist gut salzverträglich. Die häufig schon ab Dezember fliegenden Pollen besitzen ein hohen Allergiepotenzial".
Tilia tomentosa 'Brabant' (Bild rechts) zeigte dagegen unerwartete Schwächen in der Winterhärte. Im Flyer heiß es dazu: "Die Silber-Linde gilt aufgrund ihrer hohen Trockenstresstoleranz als eine der wichtigsten zukunftsfähigen Linden. Sie ist nur bedingt anfällig für das Stigmina-Triebsterben und wird wegen der silbrig-filzigen Blattunterseite von Blattläusen gemieden. Die wichtigste Sorte mit einer regelmäßigen Krone und durchgehendem Leittrieb ist 'Brabant'. Als kontinentale Art gilt sie als frosthart, ist aber am Kältestandort Hof in zwei Wintern stark zurückgefroren. Im Gegensatz zu den heimischen Linden verträgt sie auch als Jungbaum keinen Schattendruck."
Stadt- und Straßenbäume:
Ähnlich wie der Versuch in Bayern wurde auch in Norddeutschland von der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein ein Feldversuch durchgeführt. Der Projektzeitraum betrug allerdings lediglich 48 Monate (2016 bis 2019) an vier Standorten (Kiel, Lübeck, Heide und Husum).
Gepflanzt wurden 400 Bäume in 20 Arten/ Sorten, entsprechend ca. 5 Bäume je Sorte und Standort, in Husum und Heide wurden jeweils nur 50% des Sortiments gepflanzt.
Das Fazit des Abschlussberichtes lässt sich – wenig hilfreich – auf den Satz „In allen Städten entwickelte sich der Großteil der Bäume von 2016 bis 2019 gut bis sehr gut“ zusammenfassen.
Im Bericht werden Bewertungen und Erläuterungen zu den Standort- und Rahmenbedingungen sowie – leider wenig aussagekräftige und wenig übersichtliche - Bewertungen zu den einzelnen Arten gegeben.
Angesichts der Versuchsbedingungen lassen sich im Unterschied zum LWG-Versuch in Bayern ehrlicherweise im Grunde genommen keinerlei wissenschaftlichen Schlüsse aus diesem Versuch ziehen:
Stadt- und Straßenbäume:
Neben Baumlisten, Bewertungen und Feldversuchen sollte bei Entscheidungen zur Baumverwendung in der Stadt ein ganzheitlicher Ansatz gewählt werden. Die Wahl einer geeigneten Baumart für einen Standort ist ein wichtiger Baustein – aber bei weitem nicht das einzige Kriterium, das über Erfolg oder Misserfolg einer Baumpflanzung beiträgt. Zum Erfolg beitragen möchte das Entwicklungskonzept SiK Stadtbäume im Klimawandel, herausgegeben von der Stadt Hamburg in Zusammenarbeit u.a. mit der HafenCity Universität (HCU) und der Universität Hamburg (2019).
Gedacht ist das Konzept als strategische Handlungsgrundlage der Stadt Hamburg für den Umgang mit Baum-Altbestand und mit Definition von Standortanforderungen (z.B. Baumpflanzgruben, Baumscheibengestaltung, Wasserversorgung). Der Konzeptbericht möchte die Baumverwendung in der Stadt „vom Baum her denken“. Die umfassende Darstellung von Standortanforderungen und Standortbeispielen ist nicht nur für Hamburger Verhältnisse anwendbar.
Die Handlungsempfehlungen beinhalten Aussagen zur Baumarteneignung für künftige Baumpflanzungen sowie ein Monitoring unterschiedlicher städtischer Baumstandorte. Ungewöhnlich für praktisch veranlagte Pflanzenverwender, aber kennzeichnend für eine wissenschaftliche Befassung mit dem Thema steht der biologisch-pflanzenpysiologische Teil des Konzeptes zu ‚Strategietypen bei Trockenstress‘.
Zweites Arbeitsfeld:
Die Klimaveränderungen betreffen nicht nur Bäume im urbanen Raum. Teils viel dramatischer ist der Wandel in den Wäldern zu beobachten. Nachdem vielfach jahrzehntelang auf Arten-Monokulturen für maximalen Holzertrag gesetzt wurde, versagen Reinbestände wie Fichtenkulturen jetzt systematisch. Die Forstwirtschaft forscht daher ebenfalls zu Zukunftsbäumen und bietet dazu Quellen an, deren Beachtung und Nutzung auch für die Baumverwendung in der Stadt lohnenswert ist.
Forst und Waldumbau:
Die Artensteckbriefe 2.0 sind eine Stoffsammlung (Hrsg.: Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA)) aus einer umfangreichen Quellen- und Literaturrecherche.
Aufbereitet sind Eigenschaften für 35 potenzielle Wald-Baumarten in Form von Steckbriefen.
Aus den Steckbriefen werden Baumarten nach Kriterien mit einem Wert eingestuft. Die Kriterien, die als Entscheidungsgrundlage für die waldbauliche Eignung dienen können, sind
Je nach Gewichtung der einzelnen Kriterien bietet eine Tabelle als „Gesamteignungswert“ für sogenannte Präferenzszenarien einen Überblick mit Einzelwerten für jede der recherchierten Baumarten. Präfezenzszenarien bedeutet die Gewichtung von Risikofaktoren; in dieser Stoffsammlung sind diese Szenarien:
1. Gleiche Gewichtung aller Szenarien
2. Risiken vermeiden
3. Ökosystemleistungen steigern
4. Hohe Erträge erwirtschaften
Interessant und mindestens ein Fingerzeit für die Baumverwendung in der Stadt ist das Szenario 2 „Risiken vermeiden“ und hier die Einzelbetrachtung der Faktoren Dürretoleranz, Frosttoleranz und Sturmanfälligkeit. Denn: Die Tabellen müssen jenseits von Gesamtnoten aber unbedingt richtig gelesen und interpretiert werden!
Exemplarisch sollen vier auch als Stadtbäume verwendete Baumarten herausgegriffen und im Szenario 2 Risiken vermeiden näher betrachtet werden. Ein niedriger Wert bedeutet dabei ein geringeres Risiko:
Carpinus betulus - Hainbuche
Häufig mit Carpinus betulus verglichen und als Zukunftsbaum gefeatured: Ostrya carpinifolia (Hopfenbuche) erzielt hier nur einen Wert von 2,5 bei einem Gesamtwert ‚Risiko vermeiden‘ von 3,65
Quercus cerris - Zerr-Eiche
Die Abwertung im Szenario Risikovermeidung ist für Quercus cerris begründet in der mit 5,0 eingestuften Verbissempfindlichkeit – ein Fakt, der im städtischen Umfeld eher keine Rolle spielen wird.
Quercus pubescens - Flaum-Eiche
Die Abwertung im Szenario Risikovermeidung ist für Quercus pubescens begründet in der mit 7,8 eingestuften Feuerempfindlichkeit – wichtiges Kriterium im Wald, bedeutungslos im städtischen Umfeld.
Tilia tomentosa - Silber-Linde
Für die Risikogewichtungen wurde als Kontrollgruppe die den derzeitigen Hauptbestand bildenden Baumarten Fagus sylvatica und Picea abies aufgenommen.
Tabellarisch stellt die FVA die Häufigkeit des Vorkommens einer Baumart im Ranking der 5 und 10 jeweils bestplazierten Arten über alle vier Präferenzszenarien hinweg dar.
Die beste Waldbaumart über alle Szenarien hinweg bleibt dabei Fagus sylvatica, gefolgt von Acer pseudoplatanus, Ulmus laevis, Carpinus betulus und Castanea sativa. Diese Stoffsammlung, die auch angloamerikanische Quellen berücksichtigt (und damit das Copy&Paste-Syndrom im deutschsprachigen Raum relativieren), ist für Gehölzverwender gut geeignet für die Informationsbeschaffung zu unterschiedlichen Baumarten.
Quercus cerris in unserem Baumschulquartier - gemäß Steckbrief eine Baumart mit sehr guter Trockenstresstoleranz
Forst und Waldumbau:
Das Klimawandelinformationssystem KWIS der Landesforsten/ Land Rheinland-Pfalz bietet online unter https://www.klimawandel-rlp.de eine umfangreiche Stoffsammlung an.
Ähnlich wie bei der Quellenauswertung der FVA bietet das KWIS u.a. Steckbriefe zu 16 ergänzenden, nicht heimischen Baumarten mit differenzierter und wissenschaftlich abgesicherter Abschätzung ihrer potenziellen Eignung sowohl als Stadtbaum wie für die Waldwirtschaft an.
Sehr anschaulich sind die sogenannten ‚Klimaeignungskarten‘, in denen die klimatische Eignung von Baumarten im Szenario „starker Klimawandel“ für das Bundesland Rheinland-Pfalz sowie Gesamtdeutschlands jeweils für die Betrachtungszeiträume 1986 – 2015, 2021 – 2050 und 2070 – 2099 darstellen. Aus Urheberrechtsgründen können wir diese Karten hier nicht abbilden, über den hier hinterlegten Link lassen sich die Karten direkt auf den Seiten des KWIS aufrufen.
Die Steckbriefe ergänzender, nicht heimischer Baumarten lassen sich über den hier hinterlegten Link aufrufen.
Inhalt:
Zukunftsbaum, Klimabaum, Klimawandelgehölz
Klimawandel und Baumverwendung
5. SiK Stadtbäume im Klimawandel
2. Klimawandelinformationssystem KWIS
Zukunftsbaumarten und Biodiversität
Liste Zukunftsbaumarten des Standardsortiments von heute
Zukunftsbäume: Beispiele zur Baumartenauswahl
Beispiel 2: Analoge europäische Baumart Acer monspessulanum
Beispiel 3: Analoge außereuropäische Baumart Liquidambar styraciflua
Ungewöhnlich ist das Schlagwort „geschätzte Beliebtheit“ als subjektives Laienurteil zu bestimmten Gehölzarten. Ich habe natürlich sofort Betula pendula als mutmaßlichen Macht-so-viel-Dreck-Reizkandidaten No. 1 eingegeben, doch siehe da, diese Baumart erzielt mit 72 % 'Beliebtheit' eine überdurchschnittliche Prozentzahl. Duster sieht es dagegen für Nadelgehölze einschließlich der Gattungen Taxus (49 %) und Pinus aus, den Vollflop gibt Juniperus rigida mit 39 % - aber bestimmt nur, weil für Chamacyparis lawsoniana kein Wert ermittelt wurde; als Top-Wert konnte ich den schon vermuteten Baum-Darling Liquidambar styraciflua mit 81 % finden.
War da noch was?
Bei den bisher vorgestellten Listen und Untersuchungen von Baumarten ging es zuvorderst um die grundsätzliche Eignung für künftige klimatische Szenarien bzw. Ansprüche an Bäume in Stadt und Wald. Fremdländische, eingebürgerte und als heimisch geltende Arten wurden nach Eignung für bestimmte Standortbedingungen gerankt und bewertet.
Das Kriterium der Biodiversität, das bei jeder Diskussion um Pflanzen plus Insektenfreundlichkeit an erster Stelle steht, fehlt in den oben genannten Listen, Versuchen und Zusammenstellungen weitestgehend - dabei ist und bleibt es ein wichtiges Kriterium bei der Baumartenwahl!
Zu einem Zeitungsartikel im Hamburger Abendblatt zum Thema Zukunftsbäume in der Stadt findet sich unter der Schlagzeile Grünes Hamburg in Gefahr? Wie Baumschule dem Klimawandel trotzt Baumschuler Bernhard von Ehren unter der Schlagzeile interviewed (Artikel hinter Bezahlschranke). Die klassischen Straßenbaumarten wie Eiche und Linde würden zunehmend von Ginkgo und Amberbaum abgelöst.
Der Artikel provozierte einen Leserbrief von Harald Vieth im Auftrag der Baumschutzgruppe des NABU Hamburg. Dort schreibt er:
"Herr von Ehren räumt ein, dass der Ginkgo kaum Lebensraum für Insekten und Vögel bietet. Dieses Negativum ist jedoch kein Kollateralschaden. Ganz im Gegenteil. In der heutigen Zeit spielt der Erhalt der immer mehr schrumpfenden Artenvielfalt eine herausragende Rolle. [...] Beim Klimawandel stellt sich die Frage, wie wir überleben können. Bei der Artenvielfalt heiß es dagegen, ob wir überleben können. [...] Fazit: Auch bei der Baumauswahl ist es eminent wichtig, auf die Artenvielfalt größten Wert zu legen. Folglich sollte der Ginkgo keinesfalls gepflanzt werden."
Für Entscheidungen zur Baumverwendung unter dem Aspekt der Artenvielfalt bietet sich als erster Überblick beispielsweise der Bericht Biodiversitätsindex 2021 für Stadtbäume im Klimawandel (Bericht als PDF ist auf der Seite anklickbar) an - herausgegeben von der SWILD, einer unabhängigen und als gemeinnützig anerkannten Forschungs- und Beratungsgemeinschaft von Biologinnen und Biologen. SWILD ist die Abkürzung für Stadtökologie Wildtierforschung Kommunikation. Der Verein hat seinen Sitz in der Schweiz und bietet auf der Webseite swild.ch vielfältige Informtionen und Forschungsergebnisse.
Der für eine ganze Reihe von Baumarten und getrennt nach Straßen- und Parkbäumen errechnete nummerische Wert wird vier Wertstufen zugeordnet. Die Bewertung ergibt sich nach Einschätzung des Werts für 7 unterschiedliche Organismengruppen (Moose, Flechten, Wildbienen, Schmetterlinge, Käfer, Vögel und Säugetiere) mit Werten zwischen 1 (nicht wertvoll) bis 7 (wertvoll).
Wir haben in unserer Liste von Zukunftsbäumen des Standardsortiments den jeweiligen Biodiversitätsindex (von uns 'BIX' getauft) als weiteres wichtiges Entscheidungskriterium aufgenommen.
Aus einer Zusammenschau der zuvor vorgestellten Quellen lassen sich Erkenntnisse für die Pflanzenverwendung von Bäumen in der Stadt ziehen:
Bild links: Rot-Dorn ist ein hübscher Kleinbaum - aber bitte nicht als Straßenbaum in stark versiegelten Flächen, wo er bereits kurze Zeit nach der Blüte so wie auf dem Bild aussieht | Bild rechts: Gleditsia triancathos (Lederhülsenbaum) wird aufgrund der Stammdornen und Dornen-Abwurf im Alter in der GALK-Straßenbaumliste als ‚nicht geeignet‘ bewertet. Gut zu wissen: Es gibt mehrere dornenlose Sorten, die sehr gut als Straßenbäume geeignet sind Foto: Greg Hume - Own work, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=17878744
Die aber wichtigste Erkenntnis lautet jedoch: DEN „Zukunftsbaum“ kann es aufgrund unterschiedlichster Randbedingungen einer Baumpflanzung nicht geben:
Die Baumauswahl wird womöglich zunehmend, jedoch nie ausschließlich aus den Unsicherheiten von Klimaprojektionen bestimmt. Das weiß jeder, der sich mit Pflanzenverwendung beschäftigt. In die Entscheidung für die Verwendung einer Baumart an einem bestimmten Standort fließen zahlreiche Kriterien und Risiken ein, die von verschiedenen Personen (z.B. Nutzer, Grünflächenpflege) wiederum unterschiedlich bewertet und gewichtet werden.
Es genügt ein Blick in den Kriterienkatalog aus SiK Stadtbäume im Klimawandel: Entwicklungskonzept Stadtbäume (s.o) für die Auswahl und Pflanzung von unterschiedlichen Baumarten und -sorten. Zu diesen Kriterien, die die Artenauswahl mitbestimmen bzw. mitbestimmen sollten, zählen u.a.: (SiK, erweitert/ ergänzt)
Auch Zukunftsbäume benötigen geeignete Baumstandorte. Dieser Fakt gerät bei so mancher Listenveröffentlichung gerne in den Hintergrund.
Dazu gehören in erster Linie fachgerecht gestaltete Wurzelräume! Neupflanzungen können die theoretisch zugeschriebenen positiven stadtklimatischen Funktionen nur dann übernehmen, wenn die Randbedingungen – also der Baumstandort und die Pflege dauerhaft geeignet sind – wenn die Bäume überhaupt überleben.
FLL, DIN 18916/ 18920 und RAS-LP4 beschreiben als fachlicher Standard Baumscheiben-Mindestgröße, Volumen des Wurzelraumes, den Durchmesser einer Pflanzgrube sowie die Pflanztiefe:
In der FLL heißt es weiter: „Kann für die vorgesehene Baumart kein angemessen großer Standort geschaffen werden, ist ggf. zu prüfen, ob die Verwendung von speziellen Wuchsformen z. B. kleinkronig, säulen- oder kugelförmig oder mit regelmäßig geschnittener Krone z. B. kastenförmig oder anderer Gehölze, z. B. Heister oder Sträucher als alternative Begrünung besser geeignet ist.“
Der Otto von Bahrenpark, ein Wohn- und Gewerbepark im Hamburger Stadtteil Bahrenfeld, wird nach Boden- und Gebäudesanierung seit etwa 2003 genutzt. Die Carpinus betulus 'Fastigiata' (Pyramiden-Hainbuche) dürften ebenfalls zu dieser Zeit auf dem neu hergestellten Parkplatz des Nahversorgungszentrums gepflanzt worden sein - und zwar sowohl die Gruppe am linken Bildrand in einer zusammenhängenden größeren Baumscheibe wie auch die Einzelbäume in ihren 1 x 1 m Mini-Baumscheiben. Der Vergleich der Entwicklung zeigt: Baumscheiben und Versiegelungsgrad do matter! (Aufnahme Herbst 2023)
Diese menschengemachten Festlegungen in Regelwerke berücksichtigen nicht die unterschiedlichen Ansprüche, die unterschiedliche Baumarten an ihre Umgebung stellen. Ungeeignete oder zu kleine Baumpflanzgruben führen zu Aufbruchsversuchen oder zu Kümmerwuchs.
Das Dickenwachstum der Skelettwurzeln kann zu Hebungen von Belägen und Randeinfassungen führen. Bietet ein Baumstandort dagegen ausreichend Nährstoffe, Bodenluft und -wasser, so hat ein Baum keinen Grund für ein überschießendes Wurzelwachstum. Wenn als (ganz grobe!) Faustregel planerisch von einem Baumgrubenvolumen ausgegangen werden, das in etwa dem Ausmaß der zu erwartenden Baumkrone entspricht – dann wird schnell klar, wie zum Beispiel bei auf Parkplätzen üblichen Baumpflanzungen in Stellplatzaussparungen der Normgröße 2,50 x 5,00 m (abzüglich Bordsteine und deren Betonrückenstützen netto ca. 2,00 x 4,50 m) die Prioritäten klar verteilt sind.
Wie gut hätten und könnten sich diese Bäume bei angemessenen Baumstandorten entwickeln? Bild unten rechts: Erhalt und Respektierung des Altbaumbestandes sind unerlässlich.
Auch wenn technisch im Boden zur Ausgestaltung des Wurzelraumes viel möglich ist und die Hersteller von Wurzelkammersystemen oder unterirdischen Wasserspeichern sehr gerne ihr Sortiment an Beton- und Kunststofffertigteilen massenhaft im Stadtboden verbuddelt sehen möchten: Nicht jeder Standort eignet sich als Baumstandort, um einem neugepflanzten Baum die Chance zur artgerechten Entwicklung und Erfüllung der erhofften Wohlfahrtswirkung zu bieten. Angesichts von bemerkenswert ungeeigneten Baumstandorten im städtischen Umfeld ist die Entwicklung zahlreicher Stadtbäume ebenfalls bemerkenswert:
Wie gut hätten sich diese Bäume - egal ob Vergangenheits-, Gegenwarts- oder Zukunftsbaum - bei erst bei angemessenen und geeigneten Baumstandorten entwickeln?
Neben Neupflanzungen muss der Fokus auf Pflege und Erhalt von nicht kurzfristig durch Neupflanzungen ersetzbarer Mittelalt- und Altbäumen. Dazu zählen effektive Schutzmaßnahmen bei Bauarbeiten im Umfeld von Baumaßnahmen.
Auf der Suche nach den Bäumen der Zukunft:
Die Kultur neuer Baumarten benötigt mindestens 8 bis 10 Jahre, die Einführung in das Standard-Baumsortiment (qualitative und quantitative Verfügbarkeit) etwa 20 bis 25 Jahre.
Für die Erstellung von Pflanzenlisten einer Ausschreibung empfehlen wir bei Artenauswahl aus dem „Randsortiment“, zu dem zahlreiche derzeit als Zukunftsbäume etikettierten Baumarten zählen, vorab die Prüfung der Verfügbarkeit, die Ausschreibung von Alternativen und Zulassung von Nebenangeboten.
Wir beobachten, dass kommunale Auftraggeber einen ganzen Kanon aus dem Randsortiment ausschreiben – und zwar jeweils 1 Stk je Baumart. Vielleicht handelt es sich um einen Trial-and-Error-Versuch und die Absicht, diese (teils vermeintlichen) Problemlöser-Baumarten „mal in echt“ bestaunen zu können. Hier empfehlen wir einen Besuch im Klimabaumhain der Baumschule Lorenz vor Ehren, wo immerhin 61 Baumarten dieses Zukunftssortiments aufgepflanzt und jeweils mit Infotafeln ausgestattet wurden. Der Hain ist frei zugänglich, er befindet sich in 21218 Becketal-Seevetal, Postweg.
Ein Besuch im Oktober 2023 verlief allerdings eher ernüchternd: Obgleich noch kein Frost das Laub von den Bäumen geholt hat, machten zahlreiche Baumarten wie u.a. Acer monspessulanum und Quercus cerris mit ihrer schütteren Belaubung einen wenig vitalen Eindruck. Tilia platyphyllos als typische Nicht-Straßenbaum- und Nicht-Zukunftsbaumart im Hain hingegen sah top aus und verdeutlicht das Dilemma bzw. erlaubt folgende Aussage: Es handelt sich um eine Baumschulfläche mit bestimmten Standortbedingungen, auf der Tilia platyphyllos offensichtlich vitaler wächst als Quercus cerris.
Die gezielte Anbauplanung von Arten und Sorten außerhalb des Standardsortiments ist für die Baumschulen eine Wette auf die Zukunft.
Zu den hauptsächlichen Herausforderungen für die Baumschulen mit Blick auf die Erweiterung des Randsortiments der Zukunftsbäume zählen
Blick in den Klimabaumhain der Baumschule Lorenz von Ehren in Seevetal-Beckedorf: Auf Infotafeln bieten Artensteckbriefe und die Einordnung nach GALK-Straßenbaumliste, Stadtgrün 21 sowie KLAM-Wert einen ersten Überblick über 61 Baumarten bzw. Sorten
Dem somit nur allmählichen und langsamen Wandel des Baumsortiments und fehlender Verfügbarkeiten des Randsortiments zahlreicher Zukunftsbaumarten kann jedoch aus unserer Sicht noch immer begegnet werden mit bereits heute ausreichend zur Verfügung stehenden auch heimischen geeigneten Straßenbaumarten sowie weiteren Baumarten des Standardsortiments.
Dazu haben wir eine Liste erstellt, die immerhin 18 Baumarten zzgl. Sorten umfasst:
Warum die Baumartenauswahl vor dem Hintergrund der Klimaveränderungen und trotz (oder gerade wegen) vielfältiger Informationsquellen nicht einfach ist, soll exemplarisch an Beispielen aus folgenden vier Baumart-Kategorien dargestellt werden:
Heimische Zukunftsbaumart von heute: Die Karte des natürlichen Verbreitungsgebietes von Carpinus betulus zeigt, warum die Baumart eine weite Standortamplitude aufweist - ihr Vorkommen in Mittel- und Südfrankreich, Italien und dem Balkan legt Hitze- und Trockenstresstoleranz nahe (Karte: Giovanni Caudullo, Carpinus betulus range, CC BY 4.0)
Der Steckbrief der Eignungen mit Blick auf Klimaprojektionen weist für Carpinus betulus aus:
Carpinus betulus ist eine heimische Baumart des Standardsortiments, die in vielfältigen Sorten mit abweichendem Habitus kultiviert wird:
Für Pflanzenverwendende lohnt es, (neue) Sorten von Baumarten des Standardsortiments zu kennen und richtig zu verwenden. Für Carpinus betulus wurde im Feldversuch festgestellt, dass die Sorten strahlungsunempfindlicher als die Art sind.
Nachtrag
In der Novemberausgabe 2023 der Deutsche Baumschule wird unter der Überschrift "Carpinus betulus - der Verlierer der Saison" die Einschätzung von Prof. Dr. Peter Kiermeier veröffentlicht, dass die Hainbuchen im Jahr 2023 im besonderen Maße unter Trockenstress gelitten hätten:
"In diesem Jahr zeigte sich allseits als der trostloseste Typ Carpinus betulus. [...] Bereits ab Juli, spätestens ab Anfang August fiel landesweit das vorzeitige Braun der abgestorbenen Blattpartien zwischen anderen, noch einigermaßen grünen Bäumen auf, beispielsweise neben Acer campestre, Quercus robur oder Robinia pseudoacacia."
Er nennt als Zusammenspiel von sich selbst verstärkenden Negativfaktoren die überreiche Blüte und Fruchtbildung (mildes Frühjahr, kräftezehrend) plus die darauf folgende Trockenperiode, die auf noch ausgetrocknete Böden traf und zusätzlich die Mykorrhiza schädigte. Aufgrund der geringeren Fruchtungsneigung bei Sorten von Carpinus sowie bei Hecken seien die Trockenschäden dort weniger ausgeprägt.
Für den norddeutschen Raum können wir diese Beobachtung an Carpinus betulus allerdings nicht teilen - allerdings zeigt sich auch bei Betrachtung des Dürremonitors des Helmholtzzentrums, dass die Trockenheit in den für die Baumversorgung maßgeblichen tieferen Bodenschichten im Jahreslauf 2023 landesweit ausgesprochen uneinheitlich ausgeprägt war.
Fotos aus dem Klimabaumhain und aus unseren Quartieren: Bild oben links zeigt die Art, rechts daneben 'Lucas' im Klimabaumhain und 'Lucas' im Quartier; unten links 'Rockhampton Red' im Quartier mit beginnender (roter!) Herbstfärbung, unten Mitte 'Fastigiata' und unten rechts 'Frans Fontaine'
'Rockhampton Red' mit ausgeprägter rot-oranger Herbstfärbung am 10. November im Quartier
Analoge europäische Zukunftsbaumart: Die Karte des natürliches Verbreitungsgebietes von Acer monspessulanum zeigt das Vorkommen in Südfrankreich, Italien und dem Balkan bis in den Kaukasus und Nord-Iran (Karte: Giovanni Caudullo, Acer monspessulanum range, CC BY 4.0)
Der Steckbrief der Eignungen mit Blick auf Klimaprojektionen weist für Acer monspessulanum aus:
Acer monspessulanum in unserem Quartier
Acer monspessulanum zählt zu den Zukunftsbaumarten (Randsortiment) mit Herausforderungen für norddeutsche Baumschulen:
Pflanzenverwendende sollten Verfügbarkeit von Zukunftsbäumen aus dem Randsortiment in gewünschten Stückzahlen/ Qualitäten vor Ausschreibung prüfen, Alternativen vorsehen und Nebenangebote zulassen.
Natürliches Verbreitungsgebiet von Liquidambar styraciflua im Südosten Nord-Amerikas sowie in Teilen Mittelamerikas - und Amberbäume bei uns im Containerbaumquartier mit beginnender Herbstfärbung
Die Art wächst am besten auf feuchten, sauren Lehm- und Tonböden wie Auenböden mit periodischer Überschwemmung im sommerwarmen, feuchtem Kontinentalklima.
Das Klimadiagramm von Memphis/ Tennessee weist eine Jahresniederschlagsmenge von 1.258 mm auf und eine Jahresdurchschnittstemperatur von 16,9 °C, die höchste Durchschnittstemperatur wird im Juli mit 27,6°C gemessen, die Klimaklassifiation entspricht Cfa (Feucht subtropisches Klima), ein Klima, dass sich in geringem Maße auch auf dem Balkan, in Nord-Italien und bis in die Kaukasusregion findet.
Warum zählt Liquidambar zur Gruppe der Zukunftsbäume, wenn der Baum feucht-gemäßigtes bis sommerwarm-feuchtes Klima bevorzugt?
Der Steckbrief der Eignungen mit Blick auf Klimaprojektionen weist für Liquidambar styraciflua aus:
In erster Linie zeichnen den Amberbaum große Hitzetoleranz und Blattgesundheit aus sowie Toleranz gegenüber (Boden-) Salz und Überschwemmungen. Die Eigenschaften Winterhärte und besondere Trockenstresstoleranz werden eher relativiert.
Das United States Department of Agriculture weist darauf hin, dass die besten Wachstumsraten auf alluvialen Sumpfstandorten(!) und auf schlecht entwässerten Böden mit hohem Lehm- oder Tongehalt verzeichnet werden – wobei dann ein flaches und weitsprechendes Wurzelwerk entwickelt werde.
In einer Polnisch-Italienischen Untersuchung Impact of Drought and Salinity on Sweetgum Tree (Liquidambar styraciflua L.): Understanding Tree Ecophysiological Responses in the Urban Context von 2019 zu Salz- und Trockenstress bei Liquidambar styraciflua auf städtischen Baumstandorten wurde beobachtet , dass nach Wiederbewässerung und Absenkung des Salzgehaltes keine dauerhaften Schäden auftraten und dies eher auf die Fähigkeit zur Herunterregulierung als auf eine dauerhafte Beeinträchtigung des Photosyntheseapparats schließen lasse.
Amberbäume seien in der Lage, moderate Dürre- und Salzereignisse zu überstehen, indem sie Abwehrmechanismen aktivierten, die ihnen Toleranz gegenüber Umweltbelastungen verschafften, ohne als Schutz vor Oxidationsprozesse die Emission des hochreaktiven (und klimaschädlichen!) Isoprens in die Atmosphäre zu erhöhen.
Auf der Webseite des Kansas Forest Service wird Liquidambar styraciflua zur Gruppe der trockenstress-
intoleranten Gehölze gezählt.
Bild oben links: Nach Kronenabbrüchen haben wir Liquidambar zu Dächern umerzogen | Bild oben rechts und unten links: Alte und große Exemplare sind hierzulande eher die Ausnahme - ob Liquidambar tatsächlich so stark Oberflächenbeläge anhebt wie in den USA beobachten (s.u.) bleibt abzuwarten - in dem abgebildeten Fall des 1-m-breiten Baumpflanzstreifens (Parkplatz des Botanischen Gartens in Hamburg) hätte wohl jeder Baum einen Ausbruchsversuch unternommen...
In den 1970er und 80er Jahren waren Amberbäume in den USA beliebte Straßenbäume. Die als attraktiv und schnellwachsend eingeführten Sorten Palo Alto, Festival und Burgundy verursachten mit oberflächennahem Wurzelwerk (bei feuchten/ versumpften Böden) erhebliche Schäden an Oberflächenbefestigungen, Leitungen und Mauern. Die Samenkügelchen wurden als lästig empfunden. Die Empfehlung lautet in den USA nun, Liquidambar mindestens 15 bis 20 Fuß (umgerechnet: 4,50 bis 6,00 m) entfernt von Gebäuden zu pflanzen und sie nicht mehr als Straßenbäume neben befestigten Fläche zu verwenden.
Liquidambar styraciflua sind bei uns in der Baumschulkultur nicht unproblematisch und gelingt nicht an allen Standorten:
Für Pflanzenverwendende ist Liquidambar ein Beispiel, Sortensteckbriefe kritisch zu lesen und im Zweifel unterschiedliche Quellen zu prüfen.
Liquidambar als Zukunftsbaumart zeichnet sich durch große Hitzeresistenz aus. Die in der Regel mit Zukunftsbaumarten verknüpfte Eigenschaft hervorragender Trockenstressresistenz zählt in diesem Fall eher nicht dazu. Die Baumart gilt insgesamt als bedingt stadtklimafest und verlangt für die Ausbildung eines artgerechten Wurzelwerkes zur Vermeidung von Schäden an Oberflächenbefestigungen einen großen und offenen (lockeren) und möglichst tiefgründigen Wurzelraum. Datenmaterial aus praktischen Erfahrungen einer großen Zahl mittelalter und alter Liquidambar im Straßenraum dürften für eine abschließende Einschätzung der Eignung hierzulande fehlen.
Was wäre, wenn sich ein Baumsteckbrief so lesen würde:
Ailanthus altissima in Deutschlands Götterbaum-Hauptstadt Berlin
Diese Baumart gibt es mit Ailanthus altissima (Götterbaum):
[1]Vor, Spellmann, Bolte, Ammer (Hrsg.): Potenziale und Risiken eingeführter Baumarten. Baumartenportraits mit naturschutzfachlicher Bewertung, Band 7 in der Reihe „Göttinger Forstwissenschaften“ (2015)
Anders gefragt - und nur ein Gedankenspiel:
Wie lange werden wir es uns mit Blick auf die Stadtnatur noch leisten können, einzelne sich mit den stadtklimatischen Bedingungen sehr gut arrangierende Gehölzarten, nämlich die, die ‚von selbst kommen‘ zu bekämpfen oder in Verwendungslisten als „ungeeignet“ rot abzustempeln?
Wie sähe denn eine Stadtnatur aus, wenn wir wie im Konstrukt der ‚Heutigen potenziellen natürlichen Vegetation‘ (hpnV) keinerlei menschlichen Einfluss (mehr) auf eine sich selbst überlassene Vegetationsentwicklung nehmen würden – getreu dem Hornbach-Motto „lass‘ die Natur mal machen“? (lesen Sie hier unseren Blogbeitrag).
Die Vergangenheit des Städtebaus hat gezeigt, dass trotz des Wissens und des Bewusstseins um die stadtklimatischen Benefits von (alten!) Stadtbäumen, trotz der Wertschätzung für Bäume (zumindest zu dem Zeitpunkt, an dem ein Baum für irgendeine Baumaßnahme gefällt werden soll) sich die Bedingungen für Bäume in der Stadt nicht grundsätzlich verbessert haben. Im Gegenteil: Um die knappen Flächenressourcen in der Stadt konkurrieren erbittert Freiräume, Nachverdichtung und die Förderung alternativer Mobilitätsformen ohne gleichzeitig wesentlicher Einschränkungen des flächenextensiven motorisierten Individualverkehrs.
Das Konzept der Stadt- und Straßenbäume für die Zukunft sollte aus unserer Sicht des Pflanzenproduzenten möglichst breit angelegt werden und zwar mit so vielen geeigneten Arten wie möglich. Ohne einen Paradigmenwechsel zur Qualität von Baumstandorten und dem ein oder anderen Denkverbot von heute wird womöglich auch ein wohlfeiles ‚Zukunftsbaumsortiment‘ in der Stadt kein sehr rosiges Morgen haben.
Dieser Beitrag basiert auf dem Vortrag "Baumverwendung und Baumschultrends" im Rahmen der dritten Freiraumplanerrunde des Teams Freiraumplanung des Büros Bendfeldt Herrmann Franke Landschaftsarchitekten GmbH am 05.10.2023 in Schwerin.
Was ist Stadtnatur?
Verboten?
Der Götterbaum ist seit 2019 gelistet gem. EU-Verordnung 1143/ 2014 über die Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten. Handel und Verbreitung sind in der EU verboten.
Weitere Baumarten stehen auf ‚schwarzen‘(= belegt invasiver Charakter) und ‚grauen‘ (= begründete Annahme des invasiven Verhaltens) Listen unter Beobachtung (Naturschutzfachliche Invasivitätsbewertung für wildlebende gebietsfremde Gefäßpflanzen, Bundesamt für Naturschutz, Bonn, Institut für Ökologie, Berlin, Umweltbundesamt, Wien. Umweltberatung Wien):
Schwarze Liste (Managementliste, Auswahl)
Graue Liste (Handlungsliste, Beobachtungsliste, Auswahl)
[2]Anmerkung: für diese Arten bestehen auch abweichende naturschutzfachliche Bewertung zur Invasivität als nicht bzw. nur bedingt invasiv; nach Vor, Spellmann, Bolte, Ammer (Hrsg.): Potenziale und Risiken eingeführter Baumarten. Baumartenportraits mit naturschutzfachlicher Bewertung, Band 7 in der Reihe „Göttinger Forstwissenschaften“ (2015))
Invasive Arten verdrängen heimische Arten. Dieser Gefahr wollen Naturschützer vor allem auf besonders schutzwürdigen Flächen wie in Naturschutz- und Natura-2000-Gebieten durch Gegenmaßnahmen begegnen, die als Zielsetzung die Unterstützung der standorttypischen Pflanzenwelt haben – um „größeren Schaden von der Natur abzuwenden“ (NABU: Marderhund und Götterbaum unter besonderer Beobachtung: Die EU-Liste invasiver gebietsfremder Tier- und Pflanzenarten).
Was bedeutet mit dem Blick auf Bäume in der Stadt eine „standorttypische Pflanzenwelt“ entlang einer Hauptverkehrsstraße, wo sich Neupflanzungen gefälligst brav mit ihren mehr oder auch weniger FLL-konformen Baumlöchern zu begnügen haben und dort vertrocknen oder früh vergreisen dürfen - zwischen Versorgungsleitungen, gewürzt mit Hundeurin und Auftausalzen.
Der kategorische Ausschluss von invasiven Baumarten wie dem Götterbaum entspricht dem bisherigen Naturschutz-Ansatz zu invasiven Neophyten. Ist dieser Ansatz aber für die Stadtnatur im Angesicht der Klimaveränderungen überhaupt noch vertretbar? Ein Götterbaum schert sich im Bereich großstädtischer Wärmeinseln nicht um GALK-Listen und FLL-gerechte Baumstandorte, sondern beginnt mit großer Vitalität eine neue Art von Stadtnatur (oder besser: Stadtwildnis) zu bilden – eine Stadtnatur, vor deren menschengemachten Bedingungen althergebrachte Arten kapitulieren.
In von unserem anthropozentrischen Standpunkt als ‚Natur‘ bezeichnete Stadt-, Industrie- und Kulturlandschaften haben wir in der Vergangenheit menschlicher Invasivität ökologisch so stark eingegriffen, dass sich grundsätzlich die Frage nach dem Naturbegriff stellt.
Konstruktionen wie die ‚Urlandschaft‘ (Vegetation, wie sie vor dem Eingriff des Menschen bestanden hat), die potentielle natürliche Vegetation (pnV/ nach Tüxen, Vegetation, die auf natürlichem Wege aufgrund eines Standortpotenzials, aber ohne menschliche Eingriffe herrschen würde) kranken stets an der Schwierigkeit objektiv darzustellen, was eine natürliche Pflanzengesellschaft auf einer Fläche überhaupt ist, ohne die Eigenschaft der steten Dynamik der meisten Ökosysteme zu missachten.
Vorgaben wie die Ausschreibung ‚gebietsheimischer Gehölze‘ erscheinen zunehmend ebenfalls als naturschutzgesetzliches Bedürfnis der Rückkehr zu einer Art von ‚Urlandschaft‘ – mit Pflanzenlisten gebietsheimischer Arten, die teilweise Sorten beinhalten, womit (aus Unkenntnis?) offensichtlich auf das Konzept der passend gemachten Lieferscheine gesetzt wird.
Wissenschaftsjournalist Fred Pearce formuliert es in seinem Buch „Die Neuen Wilden“ (oekom, 2016) provokativ so:
„Etablierte Naturschützer haben meiner Meinung nach recht, wenn sie sagen, dass wir eine neue Verwilderung der Erde brauchen. Allerdings irren sie, wenn sie das erreichen wollen, indem sie die Zeit zurückdrehen. (…). Diese neue Wildnis wird aber eine völlig andere sein als die alte. Wir haben unseren Planeten schon zu sehr verändert, und die Natur kehrt nicht um in irgendeine Vergangenheit. In der Kraft der Fremden und in ihrer Fähigkeit, neue Gebiete zu kolonisieren, zeigt sie ihre Widerstandsfähigkeit. (…)
Die Banditen der Natur sind ausgewiesene Kolonisten und schlagen aus dem von Menschen hinterlassenen ökologischen Chaos Profit. Damit aber sind sie zugleich die beste Möglichkeit der Natur, den Schaden zu reparieren, den Kettensägen und Pflüge, Umweltverschmutzung und Klimawandel angerichtet haben. Fremde Arten sind also keine Zerstörer, sondern beleben die Natur neu, sie sind ihre Retter. Vielleicht zeigen sie uns, dass sie nicht am Ende ist. Dass sie sich erholen kann. Dann aber ist der simple Naturschutz kurzsichtig und wahre Umweltschützer sollten die Invasoren begrüßen.
Unser Bedürfnis (…) Auswüchse einzudämmen, und der Wunsch zu schützen, was uns am meisten am Herzen liegt, sind legitim. Doch wir sollten uns dabei im Klaren sein, dass wir es für uns tun und nicht für die Natur, deren Bedürfnisse in der Regel ganz andere sind. (…). In der Natur gibt es nur noch sehr wenig, was wirklich natürlich ist."