CO2-Kompensation ja, aber wie? Zwischen Baumpfand und Climate Rockstar

Ende März 2022 wurde vom Hamburg Airport öffentlichkeitswirksam die Klimaneutralität des Flughafens verkündet. Auch eine 750 ha große Waldfläche spielt für die Kompensation der Treibhausgase eine Rolle. Uns als Baumproduzent interessiert natürlich, was hinter Kompensationsansätzen über Bäumen steckt und die Frage: Was bringt ein Baum überhaupt?

Vor einiger Zeit am LINDNER-Feinkosttresen im Elbe-Einkaufszentrum in Hamburg:

 

Sie hätte noch eine ganz wichtige Information und zwar unbedingt für meine Frau! – so die Verkäuferin zu mir. Denn meiner Frau wolle Sie diesen Flyer aushändigen: 

 





Das Baumpfand: 

"Qualität bewahren, Natur fördern."

 



Worum geht’s? Es geht um die Salatbecher der Firma LINDNER Feinkost – also um die ‚qualitätssichernde‘ Transportverpackung für Produkte wie die Salate von der Frischetheke. 


Diese Verpackungen bestehen aus recht festem (dickwandigem) Polypropylen (PP). Polypropylen ist gut recycelbar, jedoch dürfen Produkte aus PP-Recyclat leider keinen Kontakt zu Lebensmitteln haben, so dass aus den alten Bechern von LINDNER keine neuen Becher für Lebensmittel hergestellt werden - nur ein Downcyling ist möglich.

 

 

LINDNER schreibt auf der Webseite (https://www.lindneresskultur.de/lindner/baumpfand/)

 

„Aber wie können wir diese qualitätssichernde Verpackung weiter benutzen und gleichzeitig einen Beitrag zum Klimaschutz leisten? Wir sind erleichtert, dass wir auf diese Herausforderung eine gute Antwort gefunden haben:


Das LINDNER Baumpfand!


Mit jedem zurückgegebenen Becher tragen Sie dreifach zum Klima- bzw. Umweltschutz bei: Sie lösen das Baumpfand aus für ein Aufforstungsprojekt. Alle Becher werden dem fachgerechten Recycling zugeführt. Und Sie setzen ein Zeichen, das Schule macht! 

Ihr gutes Beispiel inspiriert automatisch andere. Bäume sind wichtig für die Umwelt. Sie produzieren Sauerstoff, verhindern Erosion, binden CO2 und Wasser. 

Deshalb bedeutet LINDNER Baumpfand für uns einen markanten Schritt auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit.“

Der Becher soll nach Gebrauch („bitte unbedingt gereinigt“) an der Frischetheke abgegeben werden. Die Becher werden mit neuem Deckel wiederverwendet dem fachgerechten Recycling zugeführt. 



Pro Frischebecher werden 5 ct an den Klimaschutzpartner PLANT-MY-TREE ® gespendet. Diese Spendengelder flössen vollständig in den Kauf von Baumsetzlingen, mit denen PLANT-MY-TREE ® genau definierte Waldflächen bepflanze.

 

Dass nicht mir als ahnungslosem MANN sondern meiner Frau mit ihrem von der Natur vorgesehenen Frauenauspülfachverstand das Baumpfand (und das Prozedere, diese Becher eben nicht wegzuschmeißen, sondern ordentlich ausgespült zurückzubringen) erklärt werden musste, geschenkt!

 



Je mehr Plastikbecher desto Wald?


Bäume sind wichtig für die Umwelt, wer würde in diesem Punkt widersprechen? Die Frage der Speicherung vom Treibhausgas CO2 als fester Kohlenstoff im Holz von Bäumen ist im Zuge von Klimaveränderung und der Entwicklung nachhaltiger CO2-Zertifikate von großem Interesse. Insofern sind auch auf den ersten Blick paradoxe Aktionen vom Typus Baumpfand (je mehr Plastikbecher desto Wald…) zumindest ein Zeichen des Bewusstseinswandels. 


Im Grunde genommen wird durch derartige heuchlerische 'Aktionen'  in 'Sorge um die Umwelt' ein Konsumverhalten gefördert, das wie ein Ablasshandel funktioniert: Das Gewissen der Konsumenten wird entlastet.

 


Bitte einfach wählen: 

Tree Friend oder Climate Rockstar?

 

Doch Konsum-Kompensation für ein gutes Gewissen - das geht noch bequemer und ganz ohne ausgespülte Becher, wie das Beispiel GROW MY TREE growmytree.com zeigt: 

 

„So einfach geht’s: 

 

1. Wähle deine passende Option 

2. Schließe deine Bestellung ab

3. Wir pflanzen Bäume für Dich

4. Du erhältst dein personalisiertes Baum-Zertifikat 

 

und, ganz ganz wichtig:

 

5. Teile deine gute Tat auf Social Media“

 

Die ‚passende Option‘ startet mit dem ‚Tree Friend‘: 

1 Baum für 4,80 €, dadurch Neutralisierung von 22 kg CO2 pro Jahr - lt. growmytree entspräche das dem Verzehr von 600 g Rindfleisch oder 158 kg Gemüse oder eine Bahnfahrt Köln-München.

 

Wolle volle Kompensation? Das geht! mit der Endstufe, dem ‚Climate Rockstar‘: exakt 440 Bäume für  484,00 €, dadurch Neutralisierung von 9.680 kg CO2 pro Jahr, was dem gesamten durchschnittlichen CO2-Jahresausstoß eines deutschen Bürgers entspräche.

 

 


Kompensation und Waldprojekte: 

Klima- und Umweltschutz-Ablasshandel?

 

Liest man sich auf der Webseite ein wenig durch die Fragen, wird schnell klar, dass die entscheidende Frage

 

„Wie viel CO2 kompensiert ein Baum?“ 

 

bedauerlicherweise mit  

 

„leider schwierig pauschal zu beantworten“ 

 

zu beantworten ist -

 

„zum einen, weil unterschiedliche Baumarten unterschiedlich viel Kohlenstoff binden und zum anderen Bäume innerhalb ihrer unterschiedlichen Entwicklungsstadien verschiedene Mengen an Kohlenstoff einbinden.“

 


Als „Faustformel“ ließe sich aber sagen – so GROW MY TREE - 


„dass ein Baum pro Jahr durchschnittlich 22 kg CO2“ 


absorbiere. In Äquatornähe sei dieser Wert höher uswusf. Als Quelle wird die Webseite der European Environment Agency (Europäische Umweltagentur, eine Agentur der EU genannt, wo recht allgemein und ohne Quellenangabe geschrieben steht

 

„Bäume helfen auch bei der Bekämpfung des Klimawandels – in nur einem Jahr nimmt ein ausgewachsener Baum etwa 22 Kilogramm Kohlendioxid aus der Atmosphäre auf und erzeugt im Austausch Sauerstoff.“

 





gefällte Bäume binden kein CO2




Allerdings gilt das bei Licht betrachtet generell nur, wenn ein Baum

 

-      überhaupt so alt wird, als dass er als ‚ausgewachsener Baum‘ zählt

-      nicht gefällt und verfeuert wird (und somit gebundenes CO2 wieder freigesetzt wird)

-      nicht (vorzeitig) abstirbt und sich beim Zersetzungsprozess Kohlenstoffverbindungen wieder zu CO2 umwandeln, das in die Luft abgegeben wird

 

 


Schätzwerte: 

22 kg, 16 kg oder 10 kg pro Baum und Jahr...


Andere Quellen nennen differenziertere Werte als die 22 kg CO2 pro Baum und Jahr. So nennt die Webseite a.plant-for-the-planet.org für einen Baum im lateinamerikanischen Tropenwald in den ersten 20 Jahren eine CO2-Bindung von ca. 16 kg pro Jahr.

 

Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es zur CO2-Aufnahmerate keine zuverlässigen globalen Daten gäbe. Als Schätzung für einen globalen Durchschnitt werden hier 10 kg CO2-Bindefähigkeit je Baum und Jahr genannt. 

 

 

Einen Wert für den Beitrag von hiesigen Wäldern zur CO2-Senkung liefert das Bundesinformations-zentrum Landwirtschaft

 

Mit Bezug auf die ‚Kohlenstoffinventur‘ aus dem Jahr 2017 wird der jährliche Holzzuwachs bei Rot-Buchen im Bundesdurchschnitt mit ca. 9 cbm und Jahr angegeben. Umgerechnet bedeutet dieser Wert für die Bindefähigkeit durch die ober- und unterirdische Biomasse der Buchen einen Wert von ca. 12 Tonnen pro Jahr und Hektar. Dies sei allerdings ein theoretischer Wert, da über die Gesamtlebensdauer eines Buchenbestandes etwa die Hälfte entnommen und ein Großteil davon als Brennholz weiterverwendet werde.

 

Weiter heißt es dort:

 

„Wenn die Wirkung von Wäldern als CO2-Senke berechnet wird, geht es nicht um den bereits in Holz oder Wurzeln gebundenen Kohlenstoff, sondern darum das, was jedes Jahr durch das Wachstum der Bäume zusätzlich gebunden wird.“

 




Kompensation: Zuwachs von 2.500 qm 

Buchenwald für eine Flugreise mit der 

Familie von Frankfurt/ Main nach Mallorca




Als Vergleichsrechnung wird die Flugreise einer vierköpfigen Familie von Frankfurt/ Main nach Mallorca aufgestellt: Zur Kompensation des Treibhausgasausstoßes (fossiler Brennstoff Kerosin) würde der Jahreszuwachs eines Buchenwaldes von knapp 2.500 qm benötigt.

 

 


Die Stiftung Unternehmen Wald versucht sich über exemplarische Vergleichsrechnungen an Größenschätzungen für unsere Wälder und listet Kriterien für unterschiedliche Speichervermögen auf, die in einem ‚Ranking‘ der Baumarten dargestellt werden.

 

Als Kriterien für die Speichermenge bzw. das Speichervermögen werden genannt

 

-      artbedingte Holzmasse und Holzdichte (Darrwichte)

-      Alter der Bäume

-      Geografische Lage (Länge der Vegetationsperiode)

 

Die arttypische Holzdichte (je schwerer das Holz desto größer die CO2-Speicherung) erlaubt ein Ranking von Baumarten

 

Hainbuche > Rot-Buche > Eiche > Birke > Ahorn > Lärche > Kiefer > Douglasie > Tanne > Schwarz-Pappel

 

Unberücksichtigt bei Betrachtung der Darrwichte unterschiedlicher Hölzer der Baumarten als alleiniger Faktor bleibt die Größenordnung/ Wuchsstärke einzelner Baumarten:


So wird eine ausgewachsene Stiel-Eiche als Großbaum I. Ordnung viel mehr CO2 festlegen können als eine Vogelkirsche mit zwar höherer Darrwichte – aber eben als Kleinbaum III. Ordnung. 

 

Die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft hat im Jahr 2011 das LWF-Merkblatt 27 zum Thema Kohlenstoffspeicherung von Bäumen herausgebracht. 

 


Mittels der Werte Baumhöhe und Brusthöhen-durchmesser (BHD) werden für die Waldbaumarten Fichte, Kiefer, Buche und Eiche matrixartige Schätztabellen auf Grundlage bayerischer Daten der Bundeswaldinventur verwendet. 


Diese Tabellen sind für die Einschätzung von Kompensationswerten hiesiger Wälder weit handfester und vor allem praxistauglicher als die in nur einem Jahr nimmt ein ausgewachsener Baum etwa 22 Kilogramm Kohlendioxid aus der Atmosphäre“.

 

Die Stiftung Unternehmen Wald nennt ihrerseits als Faustformel: 1 Hektar Wald speichere pro Jahr über alle Altersklassen hinweg ca. 6 Tonnen CO2 

(zur Erinnerung: das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft nennt für einen Buchenwald den doppelt so hohen Wert von 12 Tonnen CO2 je ha und Jahr). 

 

Als Fazit steht für die Stiftung jedoch am Ende aufgrund der Unmöglichkeit der Übertragbarkeit und Verallgemeinerbarkeit von Werten eines einzelnen Baumes

 


„Wir machen daher keine Aussagen, wie viel CO2 ein Baum speichert.“

 


 

Waldprojekte und Doppelanrechnung

 

Bei Kompensationsprojekten ‚Wald‘ weist die Stiftung Unternehmen Wald auf eine weitere Schwierigkeit hin: Die Doppelanrechnung.

 

Doppelanrechnung bedeutet bei Waldprojekten, dass dieselbe eingesparte Menge CO2 zweimal angerechnet wird: einmal bei der Kompensation durch das entsprechende Projekt und dann zur Erreichung von Klimazielen. 


Die Bundesregierung rechnet für den Klimaschutz jeden Baum an, so dass eine zusätzliche (die doppelte) Bilanzierung über Privatpersonen oder Unternehmen erfolgen würde. Hierzulande zertifizieren große Projektanbieter daher auch keine Projekte in Deutschland.

 

 


 

Waldprojekte: 

Ungeeignet für Kompensationsmaßnahmen?

 

Die Firma atmosfair gGmbH aus Berlin ist eine Klimaschutzorganisation mit dem Schwerpunkt Reisen, die nach ihren Angaben „aktiven Klimaschutz“ betreibt „u.a. mit der Kompensation von Treibhausgasen durch erneuerbare Energien.“

 

Technologische Innovationen, verbunden mit einem bewussteren Umgang (Reduktion, Vermeidung, Kompensation) mit den natürlichen Ressourcen werden als wichtige Bestandteile eines dringend gebotenen Transformationsprozesses verstanden. 


Die Firma fördert zahlreiche Klimaschutzprojekte - Waldschutzprojekte (‚Setzlinge‘) werden hingegen nicht unterstützt. 

 


Warum nicht?

 

Atmosfair gewichtet Unsicherheitsfaktoren bei globalen Waldprojekten für eigene Projekte als Ausschlusskriterien:

 

-      Unsicherheit bzgl. der Dauerhaftigkeit von Waldprojekten; ein Fortbestand projektbezogener Waldflächen von wenigstens 50 Jahren müsste versichert werden

-      Risiko von Nutzungskonflikten, ‚Leakage‘-Problem (Verlagerung von Abholzungen)

-      Unzureichende Wahrung von Menschenrechten (z.B. durch Vertreibungen aus Aufforstungsprojekten)

-      Notwendigkeit von Vorabfinanzierung von Aufforstungen (Kompensationszahlungen werden lokal sofort benötigt)

 




Waldbrände, Abholzung und das 

'Leakage'-Problem bedrohen die 

Nachhaltigkeit von Waldkompen-

sationsprojekten unmittelbar




Wirklich nachhaltig seien Schutz und Aufforstung bestehender intakter und stabiler Waldökosysteme. Die Vermeidung von Emissionen sollte erstes Ziel sein, nicht die Entlassung aus der Verantwortung für unser Tun und unsere Konsumfolgen über eine Art von Ablasshandel.

 

Bedeutet: Gar nicht erst in Flugzeug steigen, den Fleischkonsum reduzieren und erneuerbare Energien nutzen. Transformation gelänge nur, wenn Kompensationsangebote nicht als Freifahrtschein für klimaschädliches Verhalten verwendet würden – in Form eines Klima- und Umweltschutz-Ablasshandels.

 

 



Wie lassen sich geeignete Kompensationsprojekte erkennen?

 

Kompensationsprogramme können mit unterschiedlichen Kompensationsstandards zertifiziert sein, die Kriterien vorgeben und deren sinnvolle Umsetzung prüfen. 


Zu den bekannten Standards zählen

-      Gold Standard (entwickelt vom WWF und anderen Umweltorganisationen)

-      VCS (Verified Carbon Standard u.a. gegründet von der Climate Group und dem Weltwirtschaftsforum)

-      CDM (Clean Development Mechanism, mit strengen Regeln hinsichtlich der Einsparung von Treibhausgasen)

 

Mit Zusatzstandards kann bei Waldprojekten geprüft und dokumentiert werden, ob neben dem Klimaschutzzielen auch natur- und artenschutzrechtliche Aspekte angemessen berücksichtigt werden. Standards unterscheiden sich sehr voneinander. Mit Blick auf Waldprojekte können beispielsweise Mindeststand-garantien je nach Standard zwischen 5 und 100 Jahren(!) variieren.

 

Die Firma PLANT-MY-TREE® mit Baumspende-/ Waldprojekten in Deutschland (zu denen auch Lindners Baumpfand beiträgt) nennt auf Ihrer Homepage Projektlaufzeiten von mindestens 99 Jahren, in denen keine Abholzung oder wirtschaftliche Nutzung erfolgen soll. 

 

Eine Zertifizierung – abgesehen nach DIN ISO 9001, einer Norm für Qualitätsmanagement – bietet diese Firma nicht an, dafür aber einen großen Strauß von 'attraktiven' Marketing-Möglichkeiten für Unternehmen, vom Aufkleber über die werbewirksame Verwendung des ‚Klimaschutz-Partner‘-Logo bis zur Baumfreund-Urkunde.

 

Der Ausgleich von Klimabilanzen durch den Kauf von Produkten – also durch bestimmten Konsum den Klimawandel zu verlangsamen – das ist zunächst ein verhältnismäßig preiswert einzukaufendes Werbeversprechen.

 

Unterschlagen wird, dass am klimaschädlichen Verhalten von ‚Verbrauch‘ zunächst und unmittelbar kein Setzling etwas ändert. Denn pflanzliche Kompensationen sind stets Vorkasseleistung: die Belastung mit Treibhausgasen entsteht durch Konsum unmittelbar, während die kompensatorisch ‚gekauften‘ neuen Bäume über einen sehr langen Zeitraum wachsen und erhalten bleiben müssen, um die kompensatorische Wirkung zu leisten.

 


 

Einzelbäume und Kompensation

 


Ein Gehölzsämling - so könnte sich ein 'Setzling' vorgestellt werden



Nein, wir als Hochbaumschule produzieren keine ‚Setzlinge‘ für Waldprojekte – also die Forstgehölze, die üblicherweise für derartige Kompensationskampagnen verwendet und gepflanzt werden. Während es für den Forstbereich fortgeschrittene Berechnungen gibt (s.o.), lassen sich derlei Zahlen nicht ohne Weiteres auf die typischerweise von uns als Hochstämme und Alleebäume produzierten Einzelbäume im städtischen Umfeld übertragen. 

 

Diese ‚Einzelbäume‘ werden auch nicht zu Aufforstungszwecken im Wald eingesetzt, sondern überwiegend zur Begrünung in der Landschaft und Siedlungsraum.

 

Die Frage der Kohlenstoffbindung ist als Argumentationshilfe für jeden einzelnen neu zu pflanzenden Stadtbaum und den Erhalt von städtischen Grünstrukturen jedoch wichtiger denn je. Bäume zu pflanzen und zu erhalten ist wichtig und richtig aus vielerlei Gründen. Denn es gehen von Ihnen eine ganze Reihe von Wohlfahrtswirkungen aus:

 

-      Beitrag zu sauberer Atemluft (Sauerstoffbildung)

-      CO2-Festlegung

-      Temperaturregulierung/ Temperaturabsenkung von bis zu 5°C

-      Gestalterisch-ästhetischer Beitrag zum Erholungsnutzen

-      Reduzierung von Lärm- und Stressfaktoren

-      Wasserrückhaltung 

-      Rückhaltung von Luftschadstoffen und Staub

-      Nahrungsquelle und Habitat zahlreicher Insekten, Vögel, Säuger und Bodenlebewesen

 

 

In der Fachzeitschrift Deutsche Baumschule, Ausgabe 06/ 2021 wird zur Quantifizierung der Kohlenstoffspeicherung bei Einzelbäumen (‚zum Wert von Bäumen‘) eine Methode des Sachverständigenbüros Leitsch GmbH (Groß-Gerau) vorgestellt.

 

Deren Ansatz beruht auf Berechnungsansätzen für qualifizierte Schätzungen zu den Kohlenstoffvorräten einzelner Bäume. Als Eingangsparameter werden dazu verwendet:

 

-      Artspezifische Darrdichten einzelner Holzarten

-      Baumhöhe

-      Brusthöhendurchmesser

-      Näherungsweise Faktoren zum Habitus (‚Formigkeit‘) des jeweiligen Baumes

 

Angesprochen wird so tatsächlich der einzelne Baum mit seinem individuellen Habitus, um auf das jeweilige Holzvolumen schließen zu können, wobei auch die unterirdische Biomasse (das Wurzelwerk) einbezogen wird, indem ein pauschaler Faktor in Relation zur oberirdischen Biomasse angesetzt wird. Auf diese Weise lässt sich über die Umrechnung molarer Massen von Kohlenstoffatomen und CO2-Molekülen näherungsweise berechnen, wieviel gasförmiges CO2 im bisherigen Lebenslauf des Baumes in dessen Holz als Kohlenstoff festgelegt wurde und somit aus der Atmosphäre gebunden wurde.

 



Einzelbäume in der Stadt: Was 'bringen' die 

eigentlich hinsichtlich CO2-Festlegung?



Die so ermittelte Zahl bildet den BIS-JETZT-Zustand ab, ohne dass dieser Wert auf den interessanteren weil monetär/ kompensatorisch geeigneteren künftigen CO2-Festlegungswert in kg pro Jahr konkretisiert werden könnte.

 

Eine Berechnung auf Basis eines jährlichen Zuwachses sei aufwändig, so die Aussage vom Büro Leitsch. Was möglich wäre, sei die Verfolgung des CO2-Speicherpotenzials größerer städtischer Baumbestände über einen längeren Zeitraum. Im Abstand von mehreren Jahren könnten Volumina von Baumbeständen erfasst werden, um den Zuwachs zu ermitteln.

 

Grundsätzlich bieten Bäume I. Ordnung aufgrund ihrer Langlebigkeit ein besonders hohes Speicherpotenzial, wobei Jungbäume durch größeren Jahreszuwachs gegenüber ausgewachsenen Bäumen im Verhältnis mehr CO2 pro Jahr durch Dicken- und Volumenzuwachs festlegen.

 


Zurück zu den Frischebechern von LINDNER Feinkost und dem Baumpfand: Über PLANT-MY-TREE® kostet die Baumspende für Unternehmen je Baum 14,28 €. Das bedeutet, dass bei einem Becherpfand von 5 ct für jeweils 285,6 zurückgebrachter Becher ein Baum gespendet wird. 

 

Lt. Webseite LINDNER (‚Aktueller Erfolgsstand‘, Stand 25.03.22) wurden exakt 500 neue Bäume gepflanzt – das bedeutet, es wurden sagenhafte 142.800 Becher zurückgebracht?! Wahnsinn.

 

Vielleicht sollte ein anderes Beispiel auch bei Lindners Schule machen: REBOWL findet als echtes Gastronomie-Pfandsystem immer mehr Ausgabestellen. Die lt. Webseite 200 bis 500 Mal wiederverwendbaren ‚Bowls‘ aus PP vom Hersteller MEPAL sind so gut, dass wir einige Exemplare in unserem Haushalt noch gar nicht wieder zurückgegeben haben…



P.S. Nachtrag vom 30.08.2022


Knapp 6 Monate später sind es noch immer 500 Kompensationsbäume, die LINDNER im Rahmen der Baumpfandaktion gepflanzt hat. Entweder sind noch nicht mehr als 142.800 Becher zusammengekommen, oder läuft die Aktion aus? Wir bleiben dran!


Haben Sie schon einmal den Begriff des Cruel Optimism gehört? Diese wörtlich übersetzt  ‚grausame Zuversicht‘ lässt sich im Zusammenhang mit den Aufrufen und Ideen für Einsparmaßnahmen von Gas und Strom derzeit beobachten:

 

"Deine Stromrechnung kannst Du demnächst nicht mehr bezahlen? Dann kannst Du doch jetzt ganz leicht Strom sparen, indem Du Deinen 20 Jahre alten Kühlschrank gegen das neueste und sparsamste Modell tauschst …" 


Geld ausgeben um zu sparen!

 

Die Idee, sich aus der Energie- und Klimakrise herauszushoppen wird wohl nicht funktionieren – auch nicht mit noch so viel Baumpfand und bestem ökologischem Fußabdruck.


Mit Cruel Optimism wird das Dilemma beschrieben, das unsere gesamte westliche Lebensweise unvereinbar mit einem nachhaltigen Bestehen dieses Planeten Erde für Flora und Fauna ist. Abhilfe wäre so radikal, so dass sich das Gewissen der Konsumierenden doch besser von ‚mikroplastikfreiem Peeling‘ (Hauptemittent von Mikroplastik ist der Reifenabrieb des Straßenverkehrs) oder eben vom ‚Baumpfand‘ beruhigen lassen. 





P.S. Meldung im Hamburger Abendblatt vom 23.03.22: 

 

Hamburg Airport ist seit Ende 2021 klimaneutral!

 

Dazu wurden u.a. Vorfeldfahrzeuge auf synthetische Kraftstoffe bzw. auf Wasserstoff- und E-Antriebe umgestellt, auf LED-Beleuchtung getauscht, eine grüne Landstromversorgung für Flugzeuge installiert, hochwertige Ausgleichszertifikate gekauft und ein über 750 Hektar großer Klimawald bei Kaltenkirchen erhalten bzw. zusätzlich aufgeforstet. Das Problem der Doppelanrechnung (s.o.) umgeht der Flughafen nach eigenen Angaben, indem zusätzliche Ausgleichs-zertifikate erworben wurden.

 

Richtig müsste es wohl heißen: Der Betrieb des Flughafens ist nun klimaneutral. 


Wäre der Flugverkehr ein Staat, dann stünde er als CO2-Emittent  an 6. Stelle, noch vor Deutschland.


In der Rechnung des Flughafens tauchen weder die durch den Flughafen erzeugten Verkehre, noch die graue Energie der einst errichteten Baumassen noch die eigentlichen Flüge auf, denn – so schreibt Hamburg Airport auf seiner Webseite – 


„Die Emissionen der Flugzeuge sind Emissionen Dritter (…). In der CO2-Bilanz werden sie der jeweiligen Fluggesellschaft zugeschrieben.“

 

Der BUND Hamburg gibt am 23.03.22 dazu eine Stellungnahme ab und verdeutlicht den Drahtseilakt zwischen Kompensation und Greenwashing:


„Mit großem Aufzug und den Senatoren Dressel und Westhagemann feiert der Hamburger Senat heute seinen Flughafen. Als erster großer deutscher Flughafenbetrieb soll der Airport das Zertifikat „CO2-Neutralität“ erhalten. Wie der Senat mitteilt, erfolgt die Zertifizierung durch die „unabhängige, weltweite Airport Carbon Accreditation“.


„Das Label ‚CO2-neutraler Flughafen‘ ist eine riesige Mogelpackung, ein Greenwashing, wie es perfider kaum geht“, empört sich der stv. Vorsitzende des BUND Hamburg, Martin Mosel. „Angesichts der sich massiv aufdrängenden Erfordernisse für einen wirksamen Klimaschutz sind wir entsetzt, dass der rot-grüne Senat die Relevanz des Flugverkehrs in der Klimakrise völlig ausblendet. Der Flugverkehr genießt in Hamburg das große klimapolitische Privileg der Unantastbarkeit, jetzt soll noch der Eindruck vermittelt werden, dass Fliegen klimaneutral geht“, so Mosel weiter.“





Quellen:


Atmosfair gGmbH: Waldschutzprojekte und Kompensation

https://www.atmosfair.de/de/standards/waldschutzprojekte/

 

Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF): Kohlenstoffspeicherung von Bäumen. LWF-Merkblatt 27 (April 2012)

https://www.lwf.bayern.de/service/publikationen/lwf_merkblatt/022680/index.php

 

BUND Landesverband Hamburg: Zertifizierung des Airports ist eine klimapolitische Mogelpackung

https://www.bund-hamburg.de/service/presse/detail/news/zertifizierung-des-airports-ist-eine-klimapolitische-mogelpackung/

 

Bundesinformation Landwirtschaft: 

Wie viel CO2 binden Wälder?

https://www.landwirtschaft.de/landwirtschaft-verstehen/haetten-sies-gewusst/pflanzenbau/wie-viel-co2-binden-waelder

 

Deutsche Baumschule, Ausgabe 06/2021: 

Kohlenstoff – wie viel speichert ein Einzelbaum?

 

EUA/ EEA Europäische Umweltagentur: 

Wälder, Gesundheit und Klimawandel

https://www.eea.europa.eu/de/articles/waelder-gesundheit-und-klimawandel

 

GROW MY TREE

Growmytree.com

 

Hamburger Abendblatt: Bäume pflanzen für den Klimaschutz, Ausgabe vom 11.03.2022

 

Hamburger Abendblatt: Ist Hamburgs Flughafen jetzt klimaneutral? Ausgabe vom 24.03.22

 

Hamburg Airport: Unser Beitrag zum Klimaschutz: Der CO“-neutrale Flughafenbetrieb

https://www.hamburg-airport.de/de/unternehmen/umwelt/unser-beitrag-zum-klimaschutz-der-co2-neutrale-flughafenbetrieb-26238

 

LINDNER Esskultur: 

Baumpfand – Qualität bewahren, Natur fördern

https://www.lindner-esskultur.de/lindner/baumpfand/

 

PLANT FOR THE PLANET Website

https://a.plant-for-the-planet.org

 

PLANT-MY-TREE® Webseite

https://www.plant-my-tree.de

 

REBOWL Pfandprodukte Website

https://rebowl.de/pfandschale/

 

Stiftung Unternehmen Wald: Wie viel Kohlendioxid (CO2) speichert der Wald bzw. ein Baum?

https://www.wald.de/waldwissen/wie-viel-kohlendioxid-co2-speichert-der-wald-bzw-ein-baum/

 

ZEIT Online: CO2-Kompensation: Ich fliege, du pflanzt Bäume, VÖ 11.11.2021

https://www.zeit.de/green/2021-11/co2-kompensation-emissionsausgleich-co2-bilanz-klimaschutz-klimakrise

 

Bilder (bis auf das erste Foto): pxhere.com (CC0)






Veröffentlicht in Baumschule am 26.03.2022 10:26 Uhr.

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