Neue Baumverankerungen haben kurze Pfähle?!

Bei Bedarf sind Gehölze standsicher zu verankern. So steht es in der DIN 18916. Jetzt wundern wir uns über neuartige Bauverankerungen von Straßenbäumen. 

Bei Stämmen bis 2,50 m Stammhöhe müssen Senkrechtpfähle mindestens 25 cm und höchstens 10 cm unter den Kronenansatz reichen. So ist es nach DIN beim Thema Baumverankerung mit Zwei-, Drei- oder Vierpfahlverankerungen seit langer langer Zeit Usus.


Schon 1827 (das ist grob eingeordnet zur Zeit des von Metternich und noch 10 Jahre vor der Geburt von Elisabeth ‚Sissi‘ von Österreich-Ungarn) berichtete die Zeitschrift für alle Zweige der Land- und Hauswirthschaft, des Forst- und Jagdwesens im Oesterreichischen Kaiserthum in der Rubrik Ökonomische Neuigkeiten und Verhandlungen unter der Überschrift

"Über die Nachtheile eines schlecht zubereiteten Pfahls oder Pflocks, um junge Obst- und andere Bäume damit zu befestigen

Wie ein Pflock zu einem neu ausgesetzten Obstbaum vorgerichtet sein muß, kann man fast aus jedem Handbuche der Obstbaumzucht lernen. Demungeachtet findet man Gärten und Straßen mit Obst- und wilden Bäumen ausgesetzt, zu derem baldigen Untergang der Baumpflock gleich nach dem Versetzen den Grund legt. Die gewöhnlichen Fehler sind folgende:

 

Erstens sind die Pflöcke nach Verhältnis des Baumes selten lang genug. Kurze Baumpfähle sind dem jungen Baum deßwegen schädlich, weil bei starken Winden seine Krone hin- und hergetrieben, an dem scharfen und rauhen Ende des Baumpflocks sich reibt, und dadurch die Rinde mehr oder weniger beschädigt wird, was schon Veranlassung zum Brandigwerden des Baumes gibt, besonders wenn man nie nachsieht und gleich Abhilfe verschafft."



Wie passt das nun mit einem solchen Bild zusammen (aufgenommen am 01. April 2021):


Da hat niemand von unten dran gezogen - die Pfähle sind tatsächlich so kurz und schauen nur etwa 80 bis 100 cm aus dem Boden (Straßenbaumneupflanzung Westumgehung Pinneberg-Nord)


Diese neue Art der Baumverankerung wird u.a. propagiert von der Baumschule Ebben, Niederlande. 


Auf deren Homepage heisst es:

Kurze oder lange Baumpfähle

Verwenden Sie vorzugsweise kurze oberirdische Baumpfähle, die maximal 80 bis 100 cm aus dem Boden herausragen. Bäume haben bei der Verwendung kurzer Baumpfähle mehr Bewegungsfreiheit und bilden dadurch schneller Stabilisierungswurzeln. Der Baum verankert sich dann eher und besser. 

Längere Baumpfähle hingegen schränken den Baum ein und machen ihn träge, was kurzfristig zu einer schlechteren Verankerung führt. Außerdem wirken sich zu lange Pfähle negativ auf das Dickewachstum des Stamms aus. 

Unterhalb der Anbindestelle wächst der Stamm nicht so schnell in der Dicke wie oberhalb der Anbindestelle, da ein Teil der Biegespannung vom Pfahl aufgefangen wird. 

Der Nachteil kurzer Pfähle besteht darin, dass die Bäume schneller durch Vandalismus brechen können. Außerdem können schwerere Bäume in windigen Gebieten durch das Gewicht der Krone schneller schief wachsen. Kurze Baumpfähle sind deshalb nicht in allen Bereichen die bessere Wahl.



Wir sind gespannt, ob sich diese Art der Baumverankerung mit kurzen Pfählen durchsetzen kann bzw. ob es dazu wissenschaftliche Feldversuche geben wird. 


Die Zeichnungen der Baumverankerungen auf der Ebben-Homepage sind aus unserer Sicht allerdings wenig vertrauenserweckend. 


So werden dort auch Ein- und Zweipfahlverankerungen gezeigt (anhand des jeweils gleich groß gezeichneten Hochstammes), die aus Sicht von Fachleuten wie Dr. Axel Schneidewind vom Zentrum für Gartenbau und Technik Quedlinburg als Verankerungen von Bäumen im öffentlichen Grün ungeeignet sind. 









Zeichnung links: Standard-3-Bock-Verankerung, DIN-konform; Zeichnung rechts: Modell 'kurze Pfähle' der Baumschule Ebben



Auch die bei Ebben gezeigten und bei den Baumpflanzungen der Westumgehung Pinneberg-Nord (s. Foto) verwendeten Kunststoffgurte für die Baumbindung können wir nicht uneingeschränkt empfehlen. 


Nicht dehnfähige Bindematerialien wie Sicherheitsgurte sollten aufgrund der Gefahr von Einschnürungen besser nicht verwendet werden - zumal Baumverankerungen auf öffentlichen Flächen häufig gar nicht oder nicht rechtzeitig entfernt werden, sondern erst mit dem Ende der Lebensdauer der Pfähle ‚in den Seilen hängen‘, um irgendwann doch entfernt zu werden.


Im Privatgartenbereich kann die Verwendung dieser Gurte aufgrund der besseren Überwachung womöglich toleriert werden.




Nicht dehnungsfähige Sicherheitsgurte als Bindematerial: Nicht unbedingt erste Wahl für Baumverankerungen im öffentlichen Raum. 


 

Erste Wahl für das Bindematerial bleiben Naturfasern wie aus gedrehtem Kokosgarn (Kokosstrick) oder geflochtene Kokoskordel

 

Der Strick/ die Kordel wird 4-fach um Stamm und Pfahl (nicht um die Halbrundlatten!) gelegt, dazwischen vielfach umwickeln zur Sicherstellung Abstandshalter Pfahl-Stamm. 




Baumbindung mit Kokosstrick




Das Bindegut wird an die Pfähle zwecks Fixierung angekrampt. Die Bindung darf am Stamm nicht zu stramm sitzen, um künftiges Dickenwachstum ohne Einschnürungen zu ermöglich.

 

Bei der Verwendung von synthetischen Bindematerialien sollten dehnfähige Kunststoff- oder Gummibänder mit einer Mindestbreite 40 mm verwendet werden.



Wie ist das eigentlich bei den Bäumen in der Baumschule?


Während unsere Containerbäume selbstverständlich an stabilen Stellagen abgebunden sind, erhalten unsere Bäume im Freiland üblicherweise keine gesonderte Verankerung. 

Die frisch gepflanzten Jungbäume bieten dem Wind durch die stark zurückgeschnittenen Kronen nur wenig Angriffsfläche. Trotzdem kommt es natürlich vor, dass Hochstämme schief geweht werden und dann wieder aufgerichtet werden müssen.



Veröffentlicht in Baumschule am 01.04.2021 11:23 Uhr.

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Inh.: Bettina Stoldt, Dipl.-Ing. agr. (FH)

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