Mikrowälder als Antwort auf große Herausforderungen?

Tiny Forest lautet der geschützte Markenname eines in Japan geborenen Mikrowaldprogramms, das Waldwachstum auf kleinen Inselflächen im städtischen Umfeld umsetzen und damit Biodiversität und Wohlfahrtswirkung beschleunigen möchte. Was ist dran?

Tiny Forest? Ist das nicht das neue Ding aus Japan, die neue, innovative Pflanzmethode?

 

Das Umweltbundesamt schreibt:


„dabei geht es um die Begründung standortangepasster, hochdiverser Waldökosystem auf kleinen Flächen ab 100 qm, die vor allem im urbanen Raum z.B. als Klimaanpassungsmaßnahme eingesetzt werden und eine Vielzahl an Ökodienstleistungen erbringen. Für diese Methode kommen vor allem Flächen von geringem ökologischem Wert in Betracht, die durch eine entsprechende Regeneration des Bodens und eine dichte Bepflanzung innerhalb kurzer Zeit in autarke Ökosysteme umgewandelt werden.“


Wie wird ein Tiny Forest bepflanzt und wie unterscheidet er sich vom Mighty Forest – um den guten alten Wald auch auf Neu-PR-Sprech zu hieven?


Laut des ‚Visionen – Mission – Werte‘ -Kanons der Partnerorganisation Citizen Forest ist die Zielsetzung die Initiierung lokaler Aufforstungsbewegungen durch die Bürger selbst und die Etablierung eines deutschlandweiten Netzwerkes. 


MIYA e.V. schreibt von „aktiver Renaturierung als Beitrag zur gesellschaftlichen nachhaltigen Transformation“.

 

Die Unterstützung erfolgt durch Spenden und die Bereitstellung von geeigneten Grundstücken. Die Mindestflächengröße soll 100 qm betragen - also eine Größe weit unterhalb der Mindestgröße von 0,1 ha (und 10 m Mindestbreite), die lt. Bundeswaldagentur als 'Wald' gerechnet wird. Bei Tiny Forests handelt es sich somit im Grunde genommen um das Landschaftselement Feldgehölz.

 

Von konventioneller Aufforstung unterscheidet sich die Miyawaki Methode (benannt nach dem Japaner Akira Miyawaki, Begründer der Tiny-Forest-Methode) durch eine viel größere Pflanzdichte und Artenvielfalt der verwendeten Gehölze. Es sollen am jeweiligen Standort heimische Gehölze verwendet werden.


Nach der Anwachspflege soll bereits nach drei Jahren ein ‚völlig autarker, natürlicher und einheimischer Wald‘ entstanden sein.

 

Die zu bepflanzende Fläche wird dabei im Grunde genommen wie eine Vegetationsfläche im Garten behandelt: 


Nach einer Bodenanalyse, entsprechend angepasster Bodenbearbeitung und -verbesserung (z.B. durch Einarbeitung von Bodenhilfsstoffen) wird mit einer Pflanzweite von 3 - 4 Gehölzsetzlingen je Quadratmeter gepflanzt. 


Wie genau gepflanzt wird, steht in nicht veröffentlichten Bepflanzungsplänen der jeweiligen Partner-organisationen. Die Pflanzung erfolgt jedoch nach folgendem Prinzip: Der Kern einer Tiny-Forest-Fläche wird mit Hauptbaumarten bepflanzt, die konzentrisch von Nebenbaumarten und am Rand schließlich von niedrigeren Sträucherarten umgeben ist.


Die frische Pflanzung wird zur Unterdrückung unerwünschten Aufwuchses gemulcht (meist mit Stroh) und in Trockenphasen gewässert. Die fertige Fläche wird eingezäunt.


Mittlerweile gibt es zu dem ‚Original‘-Maßnahmenträger, der MIYA e.V., der seit 2021 Miniwälder pflanzt, hierzulande auch eine Reihe von Kooperationspartnern. 


Dazu zählt auch die im Hamburger Umland tätige Citizens Forest e.V.. Zwei Projekte dieses Kooperationspartners („Werde Klimaretter“) habe ich besucht – das größere wurde im Herbst 2021 auf etwa 3.400 qm in Wedel/ Holstein angelegt, das zweite Projekt im Herbst 2022 auf etwa 300 qm in der Vorortgemeinde Halstenbek. Beide Projekte wurden als Pflanzaktion mit zahlreichen Erwachsenen und Kindern durchgeführt.

 

Zunächst besuche ich das Projekt in Wedel – und wundere mich gleich: Denn die Fläche liegt ganz und gar nicht im städtischen Umfeld, sondern in den Wedel-Holmer Feldmark zwischen Baumschulflächen und am Rande eines Landschaftsschutzgebietes.





Mikrowald auf 3.400 qm in Wedel zwischen Baumschulflächen (im Hintergrund zu erkennen) 

und der Wedel-Holmer Feldmark



Ich hatte mir die Vorher-Nachher-Fotos zunächst auf der Homepage angesehen. 


Der Eindruck im Herbst 2022 – also ein Jahr nach der Pflanzaktion – entsprach in etwa dem Foto ‚Fläche vor der Bepflanzung‘: Das Strohmulch hat sich mittlerweile zersetzt und ziemlich ubiquitärer Aufwuchs (Unkraut) wuchert zwischen den aber noch erkennbaren Gehölzsetzlingen.


Die mit 300 qm deutlich kleinere Fläche im vorstädtischen Halstenbek liegt auf einer parkartigen Dauergrünlandfläche in unmittelbarer Nachbarschaft zum Naherholungs- und Landschaftsschutzgebiet Krupunder See. 





Wie ein Laufstall in der Naherholungslandschaft: 

Der Citizens Forest in Halstenbek-Krupunder



Mit Blick auf die hohe Frequenz von Hunderunden-gehenden ist dieser Standort zwar deutlich urbaner, aber mitnichten städtisch. Bei der Fläche handelt es sich um ein streng geometrisches Rechteck, dass wie ein akkurat ausgestochenes Stück Blechkuchen auf einer Wiese steht, umgeben von Feldhecken und Feldgehölzen, jedoch ohne Bezug oder Anschluss an diese. Ein Infoschild klärt über Sinn und Zweck auf:





Die Gemeinde Halstenbek galt jahrzehntelang aufgrund der einmalig großen Konzentration von Forstbaumschulen als die 'Wiege des Waldes': 

Ein Wald wird hier qua Definition nicht entstehen - 

die Bezeichnung Feldgehölz wäre treffender, aber natürlich begrifflich nicht so markig



Pflanzenverwender stehen neuen Lösungsansätzen für ein Mehr an ökologischer Vielfalt und der Stärkung der Klimaresilienz der Stadtvegetation sicherlich grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber. Baumschulen sind als Pflanzenproduzenten und -lieferanten ohnehin beteiligt.


Trotzdem dürfen bei allem berechtigtem Enthusiasmus eines womöglich neuartigen Bausteins in der Stadtökologie aber wenigstens zwei Aspekte angesichts jahrzehntealter gärtnerischer und ökologischer Praxis diskutiert werden:



Punkt 1: 


Klimawandel und Gehölzsortiment


Vor allem im städtischen Umfeld stellen Trockenphasen die größte Herausforderung für eine nachhaltige Pflanzenverwendung dar. Nicht ohne Grund werden Baumarten (Klimabäume, Zukunftsbäume) gesucht,  die Trockenstress und städtische Strahlungsintensität besser verkraften als das angestammte Sortiment einheimischer Gehölzarten - und deren Verhalten mittlerweile wissenschaftlich beobachtet


Ob sogesehen die Beschränkung der Artenauswahl auf heimische Gehölze bei Tiny Forests künftig überhaupt funktioniert, wird die Praxis zeigen. 


Pessimistische Stimmen geben der Rot-Buche (Fagus sylvatica) als Waldbaum in großen Teilen Deutschlands keine 30 Jahre mehr.


Die Fachmeinung dreht bei der Pflanzenverwendung im urbanen Raum jedoch gerade von der dogmatischen Beschränkung auf einheimische Arten weg. 




Punkt 2: 


Dynamik und Dauerverhalten: Pflanzdichte, Wachstum und Artenvielfalt


Die Idee einer großen Pflanzdichte klingt zunächst einleuchtend: Wenn im Unterschied zu einer konventionellen Aufforstung dichter gepflanzt wird und dabei nicht nur ein bis zwei Gehölzarten monokulturell verwendet werden, sondern gleich 20 verschiedene Gehölzarten, entsteht bei Pflanzbeginn einer größere Vielfalt. 

 

Die große Pflanzdichte der Startpflanzung von Tiny Forests soll durch künstlich gesteigerten Konkurrenzdruck die Waldentwicklung so beschleunigen, so dass diese bereits nach 25 bis 30 Jahren abgeschlossen ist. Von einer bis zu 10-fach gesteigerten Wuchsgeschwindigkeit im Vergleich zu konventionellen Aufforstungen wird sogar gesprochen.


Die Entwicklung eines Tiny Forest wird sich nicht viel anders verhalten als die einer typischen Sukzessionsfläche: Nach dem Initialstadium (das mit der gezielten, jedoch besonders dichten Pflanzung der Setzlinge nachgeahmt/ übersprungen wird) verdrängen in mehreren Folgestadien wuchsstärkere Arten wuchsschwächeren Arten sowie auch große Teile der krautigen bodennahen Vegetation (Grund: v.a. Lichtmangel) bis sich ein in Abhängigkeit von der Konstanz der äußeren Einflüsse ein mehr oder weniger stabiles Endstadium ("Wald") aus nun wenigen Individuen herausbildet. 


Ist die Artenvielfalt des Tiny Forest anfangs am größten, wird sie sich in ihrer Entwicklung kontinuierlich reduzieren und im Endstadium stark reduziert haben. Den Beweis des Gegenteils sind die Verfechter des Tiny Forests noch schuldig.




 

Kein Tiny Forest, aber eine vor rd. 20 Jahren als 'Stangenwald' gepflanztes Band  im Hof des Berliner Tor Centers (Hamburg): Etwa 3/4 der ursprünglich sehr dicht gepflanzten 'Stangen' dürften fehlen



Es lohnt ein kurzer Abstecher in die Geschichte unserer Kulturlandschaft: Über etwa 10.000 Jahre hinweg hat der Mensch die Natur hierzulande so gut wie flächendeckend in eine Kulturlandschaft umgewandelt. Ohne diesen Wandel sähe die mitteleuropäische Landschaft noch heute so aus wie in der Nacheiszeit vor etwa 12.000 Jahren: 

 

Alle Entwicklung läuft (von Wasserflächen, Mooren und Fels einmal abgesehen) auf dichte, geschlossene Laubwälder hinaus – und zwar auf ziemlich gleichförmig aufgebaute und artenarme Urwälder.

 

Landschaftsökologisch bedeutete die Inkulturnahme und Nutzung von Flächen durch den Menschen einerseits einen Verlust (großflächig!) an ungestörter Naturlandschaft. Doch damit entstanden völlig neuartige, bis dahin gar nicht vorhandene Lebensraumtypen: 


Es entstand ein mosaikartiges Netz aus unterschiedlichsten Flächentypen, was eine große landschaftliche Differenzierung und auch Anreicherung nach sich zog. Die Kulturlandschaft, wie wir sie heute kennen und die in Teilen durch Monokulturen in ihrer strukturellen Vielfalt bedroht wird, ist mit ihren zahlreichen Sekundärbiotopen erheblich artenreicher als das Primärbiotop ‚Wald‘.

 

Wenn es also um nachhaltigen Artenreichtum bei Tiny Forests gehen soll (und dieser Artenreichtum beschränkt sich natürlich nicht nur auf die gepflanzten Gehölzarten, sondern auf die einwandernde Fauna), dann dürften die Flächen nicht sich selbst überlassen werden - denn ohne Eingriffe wird sich eine gepflanzte Fläche nicht viel anders verhalten als eine Ruderalfläche, die sich selbst und damit der natürlichen Sukzession überlassen ist. 

 

Bei noch unbewachsenen Rohbodenflächen ist vor allem das Anfangsstadium besonders artenreich


Angesichts der Kleinräumlichkeit der Miniwaldflächen werden sich keine Saumgesellschaften bilden können, da bis zum Flächenrand (Zaun) gepflanzt wird. Dass auch eine Sukzessionsfläche im Endstadium ‚Wald‘ einen großen stadtökologischen Wert darstellt (Wohlfahrtswirkung!), steht dabei außer Frage.



Gute Idee oder Marketing-Vehikel?

 

Der gelernte Förster und bekannte Baumflüsterer Peter Wohlleben sagt im Interview mit ‚Hallo München‘, dass ein neuer Ansatz wie Tiny Forests der Vorliebe von Bäumen für ein Leben im Verband entsprechen könnte – er sagt aber auch 


man kann Bäume pflanzen, aber keinen Wald



Unter der Frage ‚Tiny Forest – eine gelungene Idee oder nur ein Marketing-Hype‘ zieht Heiner Löchteken, Baumsachverständiger und Gärtnermeister auf seiner Homepage arborist-nrw.de ein eher zurückhaltendes Fazit des Konzeptes.


Als Baustein der Umweltbildung hält er Tiny Forests für geeignet. Aus seinen täglichen Erfahrungen mit urbanen Miniwäldern und aus ökologischer Sicht kann ihn das Konzept eher nicht überzeugen:

 

„Besonders im Umgang mit Bäumen und Wäldern kommt man ohne Fachleute nicht aus, denn mit den besten Strategien werden ein paar Jahre abgebildet – der Baum und ein Forst benötigen aber den Weitblick von 100 Jahren. (…)

Wir sollten endlich anfangen, die vorhandenen urbanen Wälder und Bäume zu verstehen und zu schützen. Fachleute aus Arboristik und Forst helfen dabei, den Einzelfall zu betreuen.“

 

Wirklich ärgerlich am Konzept ist, dass auch Unternehmen, die unmittelbar für Naturzerstörung, -ausbeutung und Unwirtlichkeit unserer Städte mitverantwortlich sind, es sogleich alsMarketinginstrument für erstklassiges Greenwashing nutzen. So fördert die BMW-Group die Initiative: „Mit der Kooperation möchte MINI das Bewusstsein für lokale Umweltprodukte schärfen und zu einem verantwortungsvollen Umgang mit der Natur aufrufen.“ 

 

Wäre diese Marketingphrase wirklich ernst gemeint, dann könnte MINI verantwortungsvoll die Umwandlung urbaner Pkw-Stellplätze in Tiny Forests unterstützen – und nicht die Anlage einer ausgesprochen tiny – nämlich lediglich 205 qm großen - Tiny-Forest-Fläche in Swindon neben dem MINI-Werk.  

 

Wie geeignet, belastbar und stadtökologisch nachhaltig und freiraumästhetisch akzeptabel und akzeptiert dieser Baustein langfristig sein wird, lässt sich nur durch langjähriges Monitoring prüfen. 


Das Konzept der Tiny Forests wird in einer Vielzahl von Kommunen ausprobiert, die sich angesichts knapper Grünpflege-Budgets gerne auf das Versprechen einlassen, dass die Flächen nach drei Jahren sich selbst überlassen werden können


In großstädtischen urbanen Räumen, in denen ein Netz derartiger Mikrowäldchen wirklich lokale Wohlfahrts-wirkung entfalten könnte, wird der Verwertungsdruck selbst auf Restflächen absehbar groß bleiben.

 

Wir werden auf jeden Fall in den kommenden Jahren die Flächen in der Wedeler Feldmark und am Krupunder See nicht aus den Augen verlieren – vor allem in der Wedel-Holmer Feldmark lässt sich mit oder ohne Tiny Forest herrlich Spazierengehen und Radfahren!




Veröffentlicht in Bepflanungsplanung am 07.02.2023 9:29 Uhr.

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Inh.: Bettina Stoldt, Dipl.-Ing. agr. (FH)

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