Haben Sie schon einmal vom Harzer gehört?

Nein, weder der Magermilchkäse aus Sauermilch noch der Einwohner des Harzes sind gemeint und schon gar nicht ALG-II-Bezieher, denen dann auch noch das ‚t‘ fehlen würde. 

        
Rätselhafte Fischgrätmuster auf Kiefernstämmen


Uns ist dieser Begriff im Urlaub begegnet:


Gemeint ist ein alter, weitgehend in Vergessenheit geratener, einstmals sehr anstrengender Handwerksberuf im Wald.


Auf Wegen durch den Darßer Urwald tauchen am Wegesrand aus teils fast mannshohem Königsfarn (Osmunda regalis) Baumstämme mit merkwürdigen Fischgrät-Schnitzerein auf. Doch diese V-förmigen Rillenschnitte vor allem an Waldkiefern (Pinus sylvestris) sind nicht etwa Kunst oder Materpfähle, sondern letzte Zeugnisse einer Waldnutzung, dessen Verfahren zur Harzgewinnung mittlerweile über 100 Jahre alt ist. 


Die Harznutzung in Deutschland ist bereits seit dem Mittelalter bekannt. Sogenannte ‚Harzer‘ pachteten sich ein Stück Nadelwald und bearbeiteten die Baumstämme mit schräg nach unten verlaufenden Einkerbungen. Aus diesen als Harzlachten bezeichneten Einkerbungen trat im Sommer das Harz aus, dass am Grund der Einkerbungen aufgefangen wurde. 


Die Nutzung des Baumes musste wohlüberlegt werden: Wurde die Rinde zu großflächig beschädigt, ging der Baum zugrunde. Die Kerben müssen für den Harzfluss kontinuierlich nachgeschlagen werden.


Im Mittelalter wurde das so gewonnene Harz zu Siedepech verkocht, einer schwarzen, teerartigen Masse, die beispielsweise Böttcher zur Abdichtung ihrer Fässer, Bootsbauer zur Abdichtung von Nähten an hölzernen Rümpfen oder Stellmacher zur Schmierung der Wagenräder von Pferdewagen verwendeten.


Aus der Rohstoffknappheit an Harzprodukten während des Ersten Weltkrieges begann etwa 1915 die intensive „Harzung“, die während der faschistischen Herrschaft des 3. Reiches während des Zweiten Weltkrieges nochmals intensiviert wurde. 


Scharf auf Harzprodukte war das ‚Reichsharzamt‘ (!) jetzt nicht mehr wegen der Eigenschaften für die Abdichtung von Fässern oder als Wagenschmiere. Für die Kriegswirtschaft wichtig waren die aus dem Baumharz gewinnbaren Grundstoffe Kolophonium und Terpentinöl als Ausgangsstoffe für Farben und Sprengstoffe.

 

In der DDR wurde nach 1945 dieses Handwerk als Devisenbringer großflächig beibehalten. Maßgabe wurde, keine Kiefer über 80 Jahre zu fällen, die nicht zuvor geharzt wurde.


Zur Spitzenzeit 1961 wurden in ostdeutschen Nadelwäldern immerhin 16.000 t Harz gewonnen. Die durchschnittliche jährlich Ausbeute von etwa 12.000 t entsprach etwa 1% der Rohharz-Weltproduktion. Umfangreiche Harzgewinnung wurde auch in weiteren Ostblockländern, den Wäldern der Türkei, Griechenland, Portugal und Süditalien betrieben.


Im südlichen Niederösterreich wird die Harzgewinnung als Pecherei bezeichnet und seit dem 17. Jahrhundert betrieben. Das Harz der dort verbreiteten Österreichischen Schwarzföhre (Pinus nigra ssp. nigra austriaca) ist besonders hochwertig und macht das Pech aus Österreich zu einem der besten weltweit. Im Jahr 2011 wurde die ‚Pecherei‘ in Niederösterreich von der UNESCO in das Verzeichnis des immateriallen Kulturerbes in Österreich aufgenommen. 


Das Handwerk selbst kam dort jedoch bereits in den 1960er Jahren als Folge des Preisverfalls und billigeren Ersatzstoffen der chemischen Industrie allmählich zum Erliegen.

 

Ein Harzer in der DDR erntete durchschnittlich etwa 8 bis 9 Tonnen Harz je Saison. Das Ende der DDR führte 1990 auch zum Ende des Harzens – immerhin befanden sich zuletzt 21.000 ha Wald in der ‚Harzung‘.

 

          

Harzlachten überwallen nach und nach 

(Kiefer am Wiecker Postweg zwischen 

Born a. Darß und Wieck)


Über 30 Jahre nach Ende dieser Waldnutzung wurden viele dieser angeritzten Kiefern längst gefällt und Flächen neu aufgeforstet. Die letzten Kiefernstämme mit Harzlachten überwallen mehr und mehr und sind letzte Zeugnisse eines ausgestorbenen Handwerks


Und sie zeigen die Widerstandsfähigkeit von Schwarzkiefern auch bei Stammbeschädigungen! 


Wir werden Ihnen Schwarzkiefern selbstverständlich auch künftig mit vollständig intakter Rinde ausliefern!





Quellen:

Berufe-dieser-welt.de

Moz.de: Spuren der Harzgewinnung auch nach 30 Jahren zu sehen (26.07.2019)

Nordkurier.de: Ganz schön klebrig: Das Harzen (27.05.2013)

Wikipedia.de/ Eintrag Pecherei




Veröffentlicht in Pflanzenverwendung am 15.07.2021 11:12 Uhr.

Logo Baumschule

Horst Bradfisch Baumschulen GmbH

Quickborner Straße 30

25494 Borstel-Hohenraden


Tel. +49 (0)4101/ 79 55-0

Fax +49 (0)4101/ 79 55-55

baumschulen(at)bradfisch.de

bradfisch.de



Inh.: Bettina Stoldt, Dipl.-Ing. agr. (FH)

… die gute Schule für Ihre Pflanzen

Logo ZgG
Vignet MPS-ABC EN-804587, Zertifizierung 2023
Instagram Button